1721 - Utiekks Gesandte
als Abfolge von Ereignissen, die sie selbst wenig oder gar nicht beeinflussen konnte. Irgendwo in Utiekks Chronik, am Ende von Zeit und Kosmos, existierte eine Seite, in der jeder ihrer Schritte verzeichnet stand. Sie konnte sich nicht dagegen wehren.
Ebensowenig wie gegen Tje Minas’ Anordnung, der sie noch am folgenden Tag für ein halbes Jahr von der Schule Utiekks verweisen ließ.
Allerdings war es kein normaler Verweis. Sie empfand es nur so, weil sie gerade eben die Umgebung als ein spannendes Rätsel zu betrachten begann. Sie hätte gern mehr über MOCODAM erfahren, Mineseed besser kennengelernt, Semiodd eine Fülle von Fragen gestellt.
Per Transmitter schickte man sie auf eine Welt in mehreren hundert Lichtjahren Entfernung. Ohne jede Erklärung, ohne Möglichkeit zum Widerspruch, kurz gesagt, ein entwürdigender Vorgang.
Ouidane fand sich in der Obhut einer Gruppe steinalter Barrayd wieder.
Die Lederhaut um ihre Hälse, besonders um die Hüften herum, bildete flexible Falten aus. Sie waren so gut wie unbeweglich - und wären in der Kälte von Yolmor längst gestorben. Die Maserungen in der Mitte ihrer Gesichter verblaßten bereits; ein deutliches Zeichen beginnender Senilität.
Dennoch fühlte sich die junge Immune in ihrer Gegenwart geborgen und wohl. Sie alle gaben sich Mühe, auf ihre reduzierte Reaktionsfähigkeit Rücksicht zu nehmen. Die gesprochenen Worte kamen sehr langsam, wenn auch nicht so verständlich moduliert wie bei den Lehrern der Schule.
Man vermittelte ihr das Gefühl, wichtig und willkommen zu sein.
Styoroom hieß diese Welt. Es war warm, auch im Freien und sogar nachts, völlig anders als auf Yolmor. Überhaupt bekam sie zum erstenmal etwas anderes als die millionenjährige Stadt Zhanth und die Schule Utiekks zu sehen. Der Himmel war nicht grün, wirkte nicht dumpf in der Farbe, sondern strahlte in hellem, lichtem Blau. Sie als Immune vertrug kein helles Licht und war deshalb gezwungen, den ganzen Tag eine dämpfende Folie über den Sehorganen zu tragen. Es war eine lehrreiche, wenngleich anstrengende Zeit.
Ouidane wohnte im Herzen einer weitläufigen, von Kanälen und kleinen Teichen geprägten Siedlung. Alles, was sie sah, hinterließ in ihren Augen einen Eindruck von Ästhetik. Landschaftsarchitekt war auf Styoroom ein angesehener Beruf.
Sie erhielt eine umfangreiche Ausbildung in sämtlichen naturwissenschaftlichen Bereichen. Jedenfalls das, was man für eine Immune „umfangreich" nennen konnte: Ein Wissenschaftler hätte ihr Wissen sicher kläglich genannt. Angesichts verlangsamter Denkprozesse und reduzierter Sprachgeschwindigkeit war das jedoch kein Wunder.
Dabei kam das meiste aus dem Hypnoschuler. Hätte sie alles bei wachem Bewußtsein lernen sollen, sie hätte tausend Jahre dazu gebraucht.
In den Pausen lernte sie Styoroom kennen. Die alten Barrayd machten sich einen Spaß daraus, sie zu all den Wundern des Planeten zu führen.
Wenn sich diese in der Nähe ihrer Siedlung befanden, hatte sie besonderes Glück: Dann fuhren sie in Booten die Kanäle hinab und schauten dem vorbeiziehenden Kahnverkehr zu.
In der Nähe der Siedlung erstreckten sich die riesenhaften, ausgedehnten Forschungsnetze der Physiker; schwerelos mit dem Wind durch die Täler tanzend, immer auf der Suche nach 5-D-Resonanzen. Westlich bedeckten regelrechte Antennenwälder die Hügelkuppen. Manche Antennen ragten bis zu hundert Meter auf und besaßen viele tausend Knotenpunkte.
Am anderen Ende des Planeten schließlich, isoliert von allen anderen Barrayd, führte man ihr die Siedlung der Mathematiker vor. Das stete Murmeln dieser eingefallenen, körperlich völlig untrainierten Barrayd klang in ihren Ohren schrill. Sie alle lebten in niedrigen Kuppeln aus Sandstein; in die Wände kratzten sie ihre Formeln, damit diese der Nachwelt erhalten blieben.
Ouidane sah auch die anderen Siedlungen von Styoroom, wenngleich nur eine einzige den Zauber der Teiche und Kanäle bot. Ihre eigene Heimatwelt hatte sie niemals näher kennengelernt, nur die Schule Utiekks und die Abhänge des mächtigen Shergen. Und hier? Die Gesichter schwammen so sehr, allein schon ihres Tempos wegen, daß sie von ihren Artgenossen kaum bleibende Eindrücke mitnahm.
Eine Ausnahme kam lediglich zustande, wenn sich jemand so für sie interessierte, daß er sie zu sprechen versuchte. Mit untrainierten Personen war das allerdings schwer möglich. Zu normalen Barrayd fand sie keinerlei Kontakt.
Die Barrayd von Styoroom berührten
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