1722 - Flucht in die Finsternis
getroffen.
»Dann werden wir wohl zu Ihnen kommen und zunächst bei Ihnen bleiben.«
»Danke, das habe ich soeben vorschlagen wollen. Wenn Sie das tun, sind meine Frau und ich beruhigter.«
»Rechnen Sie denn damit, dass sie wirklich zu Ihnen kommt?«
»Sonst hätte ich Sie nicht angerufen. Sie ist wirklich keine Person, die nur blufft.«
»Da haben Sie wohl recht.«
»Wann kommen Sie?«
»Noch vor dem Dunkelwerden sind wir bei Ihnen.«
»Danke schon jetzt …«
***
Es war ein alter Schuppen, der schon seit einiger Zeit leer stand. In diesem Raum hatte ein Mann gearbeitet, der sich auf die Reparatur von Fahrrädern spezialisiert hatte. Das tat er nun nicht mehr. Er war umgebracht worden, weil zwei Junkies Geld bei ihm vermuteten. Ein paar Pfund hatten sie rauben können, mehr nicht, und in ihrem Frust hatten sie den Mann dann totgeschlagen.
Seit dieser Zeit stand der Schuppen leer. Bis auf eine wichtige Kleinigkeit.
Olivia Peck hatte ihn entdeckt und ihn als ideales Versteck angesehen. Zudem stand er in Sichtweite der Häuser, die für sie wichtig waren. Nun aus einem anderen Grund als früher. Wenn sie jetzt hinlief, dann nicht mehr als Halbvampirin, sondern als Vollvampir.
Sie hatte Besuch von einer besonderen Frau bekommen. Von einer blondhaarigen Göttin, wie Olivia sagte. Eine Person, die ihr einiges mit auf den Weg gegeben hatte, um ihr dann das Restblut aus den Adern zu saugen, sodass sie jetzt zu einem echten Geschöpf der Finsternis geworden war.
Auf der einen Seite fühlte sie sich perfekt, auf der anderen wiederum nicht. Da hatte sie Probleme, denn als echte Blutsaugerin war es ihr nicht möglich, sich im Licht des Tages zu bewegen. Sie musste die Dunkelheit abwarten, um sich in Szene setzen zu können. Diese alte Regel hatte auch bei ihr Bestand.
Es gefiel ihr nicht, dass sie am Tag untätig bleiben musste. Den Job als Sozialarbeiterin hatte sie längst vergessen, aber sie wollte die Gegend, in der sie sich so gut auskannte und wo sie sich heimisch fühlte, nicht aufgeben.
Deshalb blieb sie, und deshalb hatte sie sich auch einen bestimmten Plan zurechtgelegt. Auch sie hatte mal zu den Halbvampiren gehört und nichts vergessen. Es gab genug von ihnen, und sie hatten untereinander zwar keinen direkten Kontakt, aber sie spürten genau, wer zu ihnen gehörte, wenn sie sich sahen.
Nach einiger Suche war es ihr gelungen, vier Gleichgesinnte zu finden. Zwei Frauen und zwei Männer. Sie bildeten so etwas wie eine Schutztruppe, und es war genau das Quartett, das sie losschicken konnte, um für sie ein bestimmtes Problem aus dem Weg zu räumen.
Zwei Männer waren aufgetaucht, und einen von beiden kannte sie. Eigentlich beide, doch der eine war ihr besonders intensiv geschildert worden.
Er hieß John Sinclair!
Justine Cavallo hatte von ihm gesprochen und ihr geraten, diesen Mann nicht zu unterschätzen. Es war einfach zu gefährlich, sich in seine Nähe zu wagen, und daran würde sie sich zunächst halten.
Sie hatte auch nicht vorgehabt, so schnell aufzufliegen. Dass dies so war, daran trug Jean Katanga die Schuld. Er hatte gut aufgepasst, und es war ihm gelungen, ihre Ruhe zu stören. Dafür würde er büßen müssen.
Olivia Peck beschäftigte sich nur mit diesem Gedanken, während sie im Halbdunkel auf einem Stuhl hockte. Sie war normal gekleidet, trug eine graue Jacke, eine Hose und einen Pullover. Das lange Haar hing offen an beiden Seiten des Kopfes nach unten. Die Strähnen endeten dort, wo die Brüste den Stoff des Pullovers leicht ausbeulten. Ein schmales Gesicht mit glatter Haut. Es war nicht besonders hübsch, aber auch nicht hässlich. Ein Durchschnittsgesicht von einer auf den ersten Eindruck durchschnittlichen Frau, wenn man ihr auf der Straße begegnete.
Nur durfte sie nicht den Mund öffnen, dann präsentierte sie die beiden langen, spitzen Eckzähne wie helle Klingen. Sie war stolz darauf, dass ihr die beiden Hauer gewachsen waren, denn nur so zählte sie zu der wirklichen Elite der Blutsauger.
Es gefiel ihr nicht, im Dunkeln zu hocken. Sie beneidete die blonde Justine, die eine schier grenzenlose Macht besaß und sich auch im Licht des Tages bewegen konnte. Das war bei ihr nicht der Fall. Sie musste zumindest das Ende der Dämmerung abwarten, um aktiv werden zu können.
Dass diese Hütte kein sicheres Versteck war, wusste sie auch. Sie würde sich ein anderes suchen müssen. Später, wenn die Aufgabe hier in der Gegend erledigt war. Dann konnte sie ihrem Jagdtrieb freien
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