1722 - Flucht in die Finsternis
standen. Es waren vierstöckige Baracken, deren Außenfassaden im Grau der Dämmerung verschwunden wären, hätte es nicht das Licht gegeben, das einige Fenster-Vierecke erhellte.
Suko lenkte den Wagen ungefähr dorthin, wo wir schon mal geparkt hatten. Als wir ausstiegen, sah ich nicht weit entfernt einen kleinen gelben Fiat stehen, der wie eine Zitrone auf vier Rädern aussah. Wem der wohl gehörte?
Eigentlich hätte auch ein Teil der Außenanlagen erhellt werden müssen. Es gab zwar die entsprechenden Laternen, doch ihr Glas war zur Zielscheibe irgendwelcher Steinewerfer geworden, und so musste man sich auf das wenige Licht verlassen, das aus den Fenstern nach draußen drang.
Bis zum Haus waren es nur wenige Schritte. Wir wussten auch, wohin wir mussten, denn Jean Katanga lebte in einer Parterre-Wohnung rechts von der Haustür.
Wir steuerten sie an. Nicht alle Bewohner befanden sich in den Wohnungen. Einige Jugendliche lungerten im Freien herum.
Der Geruch von Marihuana wehte uns entgegen. Nicht wenige saugten an ihren selbst gedrehten Joints, und die brennenden Spitzen leuchteten wie Glühwürmchen in der Dämmerung, die immer stärker von der Dunkelheit abgelöst wurde.
Jean Katanga hatte wohl hinter dem Fenster gewartet und uns bereits entdeckt. Er klopfte gegen die Scheibe und winkte, als wir hinschauten.
Eine Haustür mussten wir nicht öffnen. Sie stand offen. Im Flur spielten Kinder, indem sie Bälle gegen die Wände traten. Uns nahmen sie nicht zur Kenntnis, dafür Jean Katanga, der uns entgegenkam. Da eine Lampe im Gang ein trübes Licht abgab, erkannten wir, dass sein Gesicht einen entspannten Ausdruck angenommen hatte. Er wirkte schwer erleichtert.
»Danke, dass Sie hier sind.«
»Keine Ursache«, erwiderte Suko. »Wir gehen davon aus, hier ein Finale erleben zu können.«
»Wird diese Vampirin denn kommen?«
»Sie hat Sie angerufen.«
Er stöhnte leise auf. »Ja, sie hat angerufen, aber ob sie tatsächlich kommt, das steht in den Sternen, hoffe ich zumindest.«
»Wir werden sehen«, sagte ich und setzte eine Frage hinterher. »Sind Sie allein?«
»Nein, meine Frau Suzie ist bei mir. Ich – ich – weiß nicht, ob ich sie wegschicken soll.«
»Weiß sie denn Bescheid?«
»Ja. Aber sie will bei mir bleiben. Das gehört sich so, hat sie gesagt.«
»Dann ist alles okay.«
Es waren nur ein paar Schritte bis zu seiner Wohnungstür. Links stand eine Tür offen. Auf der Schwelle hielt sich ein breitschultriger Mann auf, dessen Oberkörper ein Unterhemd zierte. Der Mann war behaart wie ein Affe. Auf seiner Stirn wuchs eine Beule, und der Bizeps sah aus, als wäre er durch Anabolika so geworden.
»Hast du Besuch?«
»Wie du siehst.«
»Die beiden passen nicht zu uns.«
»Halte dich raus, Alf.«
»Wieso? Ich wohne auch hier. Und wenn mir zwei Visagen nicht passen, dann sage ich es. Kommen die auch vom Sozialamt, um zu erfahren, wie toll wir wohnen?«
Suko blieb stehen. Er gab auch die Antwort. »Daher kommen wir nicht. Wir sind nur zwei alte Bekannte von Jean. Reicht dir das als Antwort aus?«
»Muss ich mir noch überlegen.«
»Okay.« Suko ging weiter und holte uns ein, denn wir waren vor der Wohnungstür stehen geblieben.
»Wer ist das denn?«, fragte Suko leise.
»Er heißt Alf und denkt, dass er hier der Boss ist. Man darf ihn nur nicht ansprechen, wenn er voll ist, dann wird er aggressiv und dreht durch. Bis vor einer Woche hat er noch im Knast gesessen wegen Körperverletzung. Nun ja, jetzt ist er wieder frei. Mal sehen, wann sie ihn wieder abholen müssen.«
Der Mann hatte nicht gehört, dass wir über ihn gesprochen hatten, und wenig später war die Wohnungstür hinter uns zugefallen.
Ich wusste ja nicht, wie es in den Wohnungen der anderen Mieter aussah. Bestimmt nicht so wie hier, denn wir betraten ein sehr sauberes Zimmer, dessen Einrichtung ein wenig altbacken wirkte, inklusive der gehäkelten Decke auf dem Tisch.
Eine weitere Tür führte in die Küche, und auf dieser Schwelle stand Jeans Frau. Auch sie war dunkelhäutig, die Haare hatte sie ebenfalls glätten lassen, so war die Krause aus ihnen verschwunden. Jetzt wuchsen sie an den Seiten bis über die Ohren, wobei die rechte Hälfte länger war als die linke.
Sie hatte ein nettes Gesicht mit großen dunklen Augen und einem blass geschminkten Mund. Sie trug eine rote Hose und eine weiße Tunika, die bis zu den Hüften reichte.
Als ich ihr die Hand gab, da merkte ich, dass ihre Finger zitterten. Die Frau fürchtete
Weitere Kostenlose Bücher