1722 - Flucht in die Finsternis
dass sich in ihrem Innern etwas verändern würde.
Es passierte nicht. Sie fühlte sich weiterhin wohl. Auf der Schwelle blieb sie stehen. Draußen lagen die dunklen Schatten über der für sie sichtbaren Gegend. Nicht weit entfernt standen die vierstöckigen Häuser, die ihr Ziel sein würden. In ihnen befand sich in jedem Zimmer die Nahrung, die sie brauchten.
»Können wir gehen?«
Gregors Fragen hatten auch die anderen drei Mitstreiter gehört. Sie drehten sich zu Olivia um.
Sie lächelte, dann nickte sie, und Sekunden später war sie mit dem Quartett an ihrer Seite unterwegs …
***
Es gibt Tage, da wundert man sich, wie schnell die Zeit vergeht. Das war auch bei uns der Fall. Obwohl es länger hell blieb, weil die Jahreszeit fortgeschritten war, wunderten wir uns schon darüber, wie schnell es dämmrig wurde.
Es war der Zeitpunkt, an dem wir uns wieder auf den Weg machten. Suko und ich gingen davon aus, dass die vor uns liegende Nacht entscheidend werden würde, und wir hofften, eingreifen und das Schlimmste verhindern zu können. Wir setzten darauf, dass sich diese Olivia zeigen würden, dann konnten wir zuschlagen.
Sie brauchte Blut. Da reagierte sie wie jeder andere Vampir. Und sie hatte sich ein Beute- oder Hassobjekt ausgesucht, das wir zu schützen versuchten.
Suko fuhr konzentriert wie immer. An einer Unterhaltung dachte keiner von uns. Wir hingen unseren Gedanken nach. Über London legte sich allmählich der Mantel der Dämmerung, und es sah aus, als würden graue Fahnen aus dem Himmel fallen. Unzählige Lichter kämpften dagegen an, auch unser Scheinwerferpaar gehörte dazu.
Ich unterbrach schließlich das Schweigen. »Glaubst du, dass wir noch auf unsere spezielle Freundin treffen?«
»Die Cavallo?«
»Ja.«
Suko hob die Schultern. »Ich glaube inzwischen, dass sie hinter allem steckt, was irgendwie auf Blutsauger hindeutet. Mallmann hat eine würdige Nachfolgerin gefunden. Sie wird sich wie er früher um alles kümmern.«
»Und ist selbst abgetaucht.«
»Klar.«
Ich musste leise lachen. »Dann frage ich mich, wohin sie verschwunden ist.«
»Keine Ahnung. Da können wir nur raten, ich denke sogar, dass sie mal hier zu finden ist und dann wieder dort.«
»Könnte hinkommen.«
»Sie wird auch ihre Zeichen setzen. Diesmal durch Olivia Peck.«
»Davon mal abgesehen«, sagte Suko und bremste ab, weil wir mal wieder in einen Stau gerieten, »habe ich schon überlegt, ob sie nicht nach Verbündeten Ausschau hält.«
Ich schaute Suko von der Seite her an und sagte zunächst mal kein Wort. Das lag auch an meiner Überraschung, denn diesen Gedanken hatte ich noch nicht verfolgt.
»Kannst du das präzisieren?«
»Ich will es versuchen. Sie könnte sich Verbündete suchen.«
»Hast du da an bestimmte gedacht?«
»Zumindest an eine mächtige Gruppe.«
»Aber nicht an Assunga und ihre Hexen?«
»Auch, John. Nur existieren noch andere. Ich habe da an Matthias gedacht und seine …«
»Nein, nein, nicht er. Das kann ich nicht glauben.«
»Warum nicht?«
»Weil er nicht auf diese Brut angewiesen ist. Egal, ob es sich um Vampire oder Halbvampire handelt. Der wird seinen eigenen Weg gehen, davon bin ich überzeugt.«
»Gut. Lassen wir das. Dann hätten wir noch die Erben Rasputins. Auch sie streben nach Macht. Könntest du dir da eine Verbindung vorstellen?«
Das war nicht schlecht gedacht. Ich gab zunächst noch keine Antwort und ließ Suko erst mal fahren. Dann musste er sich meine Bedenken anhören.
»Was soll sie in Russland?«
»Das Land ist groß. Sie hat dort Möglichkeiten zur Entfaltung. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Erben Rasputins einen solchen Helfer gebrauchen könnten. Da wird es ihnen auch egal sein, ob es sich um eine Frau handelt. Eine wie Justine Cavallo kann sich überall Respekt verschaffen.«
»Ich glaube, wir denken da falsch«, sagte ich. »Justine Cavallo will herrschen. Und sie als Anführerin der Erben Rasputins kann ich mir nicht vorstellen.«
»Also wird sie allein bleiben.«
»Genau das, Suko. Sie wird und sie will es. Sie erkennt keinen neben oder über sich an.«
»Alles klar. Bleiben wir vorerst mal dabei. Aber wir werden diese Alternativen nicht aus den Augen lassen.«
»Das allerdings.«
Wir rollten weiter durch den Londoner Verkehr und waren froh darüber, dass wir es in einigen Minuten geschafft haben würden. So war es dann auch. Recht bald fuhren wir über den unebenen Boden, der bereits zu dem Gebiet gehörte, auf dem die Häuser
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