1737 - Das Blut der Zauberin
wo Hellmann wohnte, und wenn der Bergführer näher darüber nachdachte, stieg Angst in ihm hoch.
Toni Hellmann erreichte den Ort und hatte wie so oft den Eindruck, in eine andere Welt zu gelangen. Menschen, Betrieb, Autoverkehr, Bergwanderer, die ihre Touren hinter sich hatten.
Auf den Terrassen vor und hinter den Hotels und Restaurants saßen die Gäste und ließen es sich schmecken. Bis zum Abendessen verging noch Zeit, die wollten die Gäste nutzen.
Toni Hellmann wohnte in einer Seitenstraße, die leicht anstieg. Das Haus gehörte seinen Eltern. Es war im alpenländischen Stil errichtet, in der ersten Etage umlief ein Balkon das gesamte Haus. Er war mit wunderbaren Geranien geschmückt, um die sich Tonis Mutter kümmerte.
Im Moment musste er die Aufgabe übernehmen, denn seine Eltern hatten sich eine Kreuzfahrt gegönnt.
Tonis Zimmer lagen unter dem mächtigen Dach. Eine kleine Wohnung, die er modern eingerichtet hatte.
Er betrat den Wohnraum, wo ein breites Fenster bis zum Boden reichte. Die dicken Schuhe hatte er zuvor im Flur ausgezogen, den Rucksack ebenfalls abgelegt. Er blieb nicht lange in diesem Zimmer und durchsuchte den Rest der Wohnung. Er hatte das Bedürfnis, dies zu tun, und atmete erst auf, als er festgestellt hatte, dass hier niemand auf ihn wartete.
Toni schüttelte über sich selbst den Kopf. Das war schon die reine Paranoia, die ihn erfasst hielt. Es war aber auch zu unwahrscheinlich, was er da gesehen hatte.
Eine Tote, die lebte. Das hätte er nie geglaubt. So etwas gehörte in einen Horror-Film, doch er hatte es mit eigenen Augen gesehen. Wenn er das jemandem erzählte, würde man ihm kaum glauben. Aber er musste es loswerden. Zumindest Warnungen aussprechen, dass sich jemand im Ort befand, der eigentlich nicht mehr leben durfte.
Und wo war sie?
Es gab nur die eine Möglichkeit. Bei diesem Professor in dessen Ferienhaus.
Inzwischen gelang es ihm, die Gedanken wieder zu ordnen. Er saß auf der mausgrauen Couch, schaute nach vorn und sah sich im Spiegel, der an der Wand hing.
Ein junger Mann mit braunen, lockigen und halb lang wachsenden Haaren, einem gebräunten Gesicht und ebenfalls braunen Augen, die normalerweise offen in die Welt blickten, was nun nicht mehr der Fall war. Sein Blick war unstet geworden. Er dachte an die verschiedenen Möglichkeiten, die noch auf ihn zukommen konnten, auf ihn, einen Zeugen, der etwas gesehen hatte, was er nicht hatte sehen dürfen. Obwohl er den Professor zu der Höhle geführt hatte.
Dort hatte die Frau, die Tote, oder die Nichttote gelegen. Aber Toni Hellmann wusste nicht, wer sie war, obwohl er zu den Einheimischen zählte und eigentlich gut über die Geschichte des Ortes Bescheid wusste. Aber hier war das anders. Er war jetzt ein Eingeweihter, und das konnte für ihn gefährlich werden.
Das Telefon unterbrach seine Gedankenkette. Er schrak zusammen und fragte sich, wer etwas von ihm wollte. Eine Nummer war auf dem Display nicht zu sehen, er nahm den Apparat trotzdem von der Station und meldete sich mit einem schwachen: »Ja...«
»Ah, Sie sind wieder zu Hause.«
Toni Hellmann schloss sekundenlang die Augen. Es war der Professor, der ihn anrief. Jetzt kam es darauf an, dass er cool blieb und nichts Falsches sagte. »Ja, ich bin hier, wie Sie hören.«
»Das ist gut.«
»Und was wollen Sie?«
»Ihnen sagen, dass Sie mich sehr gut geführt haben. Aber ich möchte Sie zugleich warnen. Vergessen Sie das, was Sie gesehen haben. Es ist wirklich besser.«
Hellmann musste lachen. »Vergessen? Hören Sie, Professor, so etwas kann man nicht vergessen. Diese Frau hätte niemals leben dürfen. Sie ist tot, aber ich habe gesehen, dass sie...«
»Und genau das sollten Sie besser vergessen. Ich habe Sie gut bezahlt. Es ist in Ihrem Interesse.«
»Ich weiß, trotzdem würde ich gern wissen, wer diese blonde Frau gewesen ist.«
»Vergessen Sie es. Das ist wirklich besser. Denken Sie nicht mal daran. Seien Sie froh, dass Sie nicht gesehen worden sind. Die hat Sie gerochen...«
Hellmann schüttelte den Kopf, obwohl der Professor ihn nicht sah. »Wie meinen Sie das denn?«
»Keine Fragen mehr. Vergessen Sie alles.« Mehr sagte Ludwig Leitner nicht. Er legte auf und ließ einen sehr nachdenklichen Bergführer zurück, der auf das Telefon starrte und das Gefühl hatte, leer im Kopf zu sein.
Hellmann hatte die Warnung sehr wohl verstanden. Am besten wäre es gewesen, wenn er seine Sachen gepackt hätte, um aus dem Ort zu verschwinden. Aber das wollte
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