1746 - Der teuflische Jäger
wohl oder übel allem beugen, was man ihr antat.
Sie hatte viel geweint, aber jetzt waren ihre Tränen versiegt. Sie konnte einfach nicht mehr. Wenn sie müde war, stand ihr ein Feldbett zur Verfügung, auf das sie sich legte. Der Raum mit den kahlen Wänden war nicht groß, und so fand sie sich auch in der Dunkelheit zurecht.
Und immer wieder erschien die Szene vor ihren Augen, die so prägnant war.
Sie sah sich aus der Schule kommen. Es war Nachmittag. Die Sonne schien und hatte dem alten Schulhof einen schon goldenen Glanz verliehen. Die Blätter der nahe stehenden und recht hohen Bäume färbten sich allmählich. Ein Zeichen, dass der Herbst, der große Maler der Natur, nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.
Und plötzlich war der dunkle Wagen da gewesen. Er hatte neben ihr angehalten. Die Tür war geöffnet worden. Eine Klaue war erschienen und hatte nach ihr gegriffen.
An den Rest konnte sie sich kaum mehr erinnern. Sie wusste nur, dass man ihr etwas Weiches auf den Mund gepresst hatte. Einen Schwamm oder etwas Ähnliches. Und dann hatte sie etwas eingeatmet, mit dem der Schwamm getränkt gewesen war.
Erwacht war sie wieder in diesem Verlies, das zu ihrer neuen Heimat geworden war. Trotz der kleinen Uhr an ihrem Handgelenk war ihr das Gefühl für die Zeit verloren gegangen und Tricia hatte sich aufgegeben.
Aber ihre Fantasie war nicht gestorben. Immer wieder malte sie sich schreckliche Dinge aus. So wusste sie nicht, wer sie gefangen genommen hatte. Während der ganzen Zeit hatte sie keinen Menschen gesehen, aber ihre Gedanken drehten sich immer nur um einen.
Das war ihr Vater!
Sie liebte ihn fast abgöttisch, und er liebte sie auch. Nach dem Tod der Mutter hatten sie sich gegenseitig getröstet und davon gesprochen, dass sie jetzt ein Team waren.
Nun nicht mehr.
Es war brutal auseinandergerissen worden, und Tricia fragte sich, wer so gemein sein konnte und was man noch alles mit ihr vorhatte.
Da gab es natürlich schlimme Dinge, die einem Erwachsenen sofort in den Sinn gekommen wären. Nicht so Tricia. Etwas in ihr schirmte sie dagegen ab, und sie war fähig, Gedanken daran auszuschalten.
Bis dann alles anders wurde. Als sich die Türklappe öffnete und man sie telefonieren ließ. Eine kalkige bleiche Hand hatte ihr ein Handy gereicht und ihr erklärt, dass sie mit ihrem Vater sprechen konnte. Das hatte Tricia wahrgenommen und ihm berichtet, was ihr widerfahren war.
Der Jäger und der Dämon!
Das waren zwei Begriffe, die ihr nicht aus dem Kopf wollten. Sie würde sie behalten so lange sie lebte, das stand für sie fest, aber wie lange würde das sein?
Nach dem Telefonat steigerte sich ihr Leiden. Es lag daran, dass sie mit ihrem Vater gesprochen hatte, und sie wurde den Gedanken an ihn einfach nicht los.
Er lebte, sie lebte auch, aber dass beide so schnell wieder zusammenkamen, daran konnte sie nicht glauben.
Sie war zu ihrem Bett gegangen und saß auf der Kante. Irgendwann würde sie wieder müde werden, dann legte sie sich hin, um zu schlafen. Der Schlaf war ihre kleine Flucht. Er schickte ihr auch die Träume, und da fühlte sie sich wohl, denn sie gaben ihr Hoffnung, weil sie es nicht mit Albträumen zu tun hatte. In ihnen tauchten ihre Eltern auf und auch die Freunde und Freundinnen. Da gab es keine Dunkelheit wie hier, da schien immer die Sonne, und die Menschen waren glücklich.
Aber jetzt...?
Tricia schaute wieder nach vorn in das Dunkel. Etwas anderes blieb ihr nicht übrig. Egal, wohin sie blickte, es war überall nur finster. Wie immer.
Oder nicht?
Plötzlich war sie irritiert. Sie hatte nach vorn geschaut und eigentlich damit gerechnet, dass die Dunkelheit bleiben würde, aber da tat sich etwas.
Erkennen konnte sie nichts. Es war mehr eine Ahnung, die sie erfasste.
Sie wusste nicht, ob sie sich etwas einbildete, aber sie sah trotzdem nach vorn.
Die Bewegung blieb.
Die Dunkelheit bekam so etwas wie einen Riss. Da schimmerte etwas durch. Bläulich und auch silbrig. Aber sie erkannte nicht, um was es sich handelte, doch dass sie Besuch erhalten hatte, das stand schon fest.
Und aus dem Dunkel hörte sie eine Stimme, die so schrecklich und schaurig klang, dass ein heißer Strom der Furcht sie durchschoss.
»Jetzt gehörst du mir, dem Jäger...«
***
Die Abendsonne schien in den Garten und wärmte nicht nur die Natur, sondern auch die drei Menschen, die an einem Tisch saßen, Wein tranken und als kleinen Imbiss einen Käse zu sich nahmen, den Sophie Blanc in
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