1759 - Engelslicht
nannte mir auch die Nummer.
»Danke sehr. Dann werde ich mal seine Frau besuchen.«
»Ja, tun Sie das. Kann sein, dass Sie Glück haben und Lisa mehr weiß, als sie bisher zugegeben hat.«
»Ja, das hoffe ich auch.«
»Sonst noch was, John?«
»Nein.« Ich bedankte mich für die Auskünfte und unterbrach die Verbindung. Viel war es nicht, was ich in der Hand hielt. Vielleicht auch gar nichts. Aber ich wollte es trotzdem versuchen.
Ich ging zu meinem Rover, stieg ein und wunderte mich darüber, dass sich alles so kalt und anders anfühlte. Draußen war es zwar nicht warm, aber der Wagen kam mir wie ein Fremdkörper vor, obwohl ich mir das alles auch nur einbilden konnte.
Ich blieb hinter dem Steuer sitzen, wollte starten, aber tat es noch nicht.
Irgendwas war mit mir.
Ich fühlte mich nicht wohl. Ich hatte den Eindruck, nicht mehr der zu sein, der ich war. Ich kam mir ein wenig entrückt vor, sah zwar die normale Welt hinter der Scheibe, die für mich aber irgendwie anders aussah.
Genau beschreiben konnte ich sie nicht. Sie hatte sich auch nicht verändert. Weiter vorn sah ich den Anfang der Halbinsel und auch die Umrisse der Boote.
Alles normal!
Das redete ich mir zumindest ein. Ob es wirklich so war, würde die nächste Zeit zeigen.
Mit diesem Gedanken startete ich...
***
Nein, es wurde keine Horror-Fahrt, aber schon eine ungewöhnliche Reise. Ich fuhr über das Verbindungsstück und sorgte dafür, dass ich so schnell wie möglich das normale Land erreichte. Der Fall beschäftigte mich. Ich ließ das Erlebte immer wieder vor meinem geistigen Auge ablaufen und dachte natürlich an das Engelslicht, wobei ich mich zugleich fragte, was ich damit zu tun hatte.
Hatte es mich gelockt? Oder war ich freiwillig in dieses Licht hineingetreten?
Wahrscheinlich stimmte beides. Das Eintauchen in das Licht hätte mich eigentlich einen Schritt weiterbringen sollen, was aber nicht der Fall war. Ich war nur einen Schritt zur Seite getreten, um in ein neues Gebiet zu gelangen. So jedenfalls kam ich mir vor. Da war was geschehen.
Aber was?
Ich zerbrach mir den Kopf, kam aber nicht weiter. Ich musste immer daran denken, dass ich zwischen den beiden großen Buchstaben in einem hellen Licht gestanden hatte, und jetzt musste ich darüber nachdenken, was in dieser doch recht kurzen Zeit passiert war. Eigentlich nichts, aber trotzdem war etwas geschehen, davon ging ich aus, auch wenn ich nichts gesehen hatte.
Wenigstens blieb das Meer ruhig. Kein Wasser umspülte die Reifen des Rover und ich erreichte das Festland. Besser ging es mir nicht.
Ich musste nach rechts fahren, um mein Ziel zu erreichen. Es gab keine extra angelegte Straße, ich konnte auf dem breiten Kai bleiben, der nicht tot war. Es gab hier Menschen, es gab auch kleinere Läden und am Ende eine leichte Steigung, die dort hinführte, wo eine normale Straße Ortschaften verband. Dort standen auch die Häuser, die ich aufsuchen wollte. In einem davon würde ich die Familie Nelson finden. Zumindest die Frau.
Ich fuhr langsam. Auch hier waren Menschen auf der Straße oder auf den Bürgersteigen. Sie sahen mich, und ich bekam am Rande noch mit, dass sie sich erschraken oder schnell zur Seite schauten, aber auch mit anderen Menschen redeten, und das über mich.
Das bildete ich mir jedenfalls ein, aber ich wollte an etwas anderes denken.
Ich fuhr noch langsamer, um die Nummern an den Häusern abzuzählen. Im zweitletzten Haus lebten die Nelsons. Es sah aus wie die anderen auch. Eine graue Fassade, aber weiße Fensterrahmen, die dem Auge des Betrachters einen farblichen Kontrast boten.
Auf der Straße spielten Kinder. Sie blieben stehen und schauten mir nach, als ich sie passierte. Auch ihre Blicke waren so seltsam gewesen.
Egal, ich hielt vor dem Haus der Nelsons an und bemerkte im Außenspiegel, dass sich die Kinder meinem Rover näherten, allerdings nicht rennend, wie man es eigentlich von ihnen erwartete, sondern mit langsamen Schritten, vorsichtig, leise miteinander redend und die Blicke immer auf den Rover gerichtet.
Ich wusste nicht, was das sollte.
Aber ich öffnete die Tür.
Es erklang ein leiser Schrei. Ausgestoßen hatte ihn ein Mädchen. Es sagte aber nichts weiter und schüttelte nur den Kopf.
Dafür hörte ich einen Kommentar.
»Das ist ja ein Geist, der da aussteigt. Fast unsichtbar...«
»Ja, das stimmt!«, krähte ein kleiner Junge, der eine große Mütze auf dem Kopf trug. »Der ist ja wie unsichtbar...«
***
Alles hatte ich gehört.
Weitere Kostenlose Bücher