1765 - Der Schattenprinz
einen letzten Blick auf die junge Frau, die jetzt den Kopf gesenkt und eine apathisch anmutende Position eingenommen hatte. Sagen konnte sie nichts. Vielleicht wollte sie auch nicht mehr. Der Anblick des Kreuzes hatte sie eben zu hart getroffen.
»Du wirst deine letzte Chance bekommen«, sagte de Valois. »Du kannst am Leben bleiben.«
»Ich lebe, das weiß ich. Und ohne euch hätte ich bald ein ewiges Leben gehabt.«
Hector schüttelte den Kopf. »Nein, so ist das nicht. Du hättest dich nicht mehr so wohl gefühlt. Du wärst zu einem toten Wesen geworden, das nicht lebt, denn Leben ist etwas ganz anderes, das weißt du selbst. Und du wärst immer auf der Suche nach dem Blut der Menschen gewesen, denn nur das hätte dir ein Vampirdasein garantiert.«
Dahlia schwieg. Sie hatte sich wieder gefangen, aber sie traf keine Anstalten, aufzustehen. Sie blieb im Sessel hocken, den Blick ins Leere gerichtet.
»Wann willst du mich töten?«
Hector lachte. »Töten? Nein, ich werde dich nicht töten. Warum sollte ich das? Ich möchte dich retten, ja, ich möchte die Seele eines Menschen retten.«
Dahlia staunte ihn an. »Und wie?«
»Indem ich dich von hier wegbringe. Und das zu einem bestimmten Ort, den ich dir jetzt nicht nennen werde.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter. Du wirst leben können, das soll dir als Antwort genug sein. Sei froh, ja, sei richtig froh. Du hast es soeben noch geschafft.«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Doch, du hast es. Du bist nicht vernichtet worden. Man hat dir keinen Pflock oder einen anderen spitzen Gegenstand durch die Brust in dein Herz getrieben. Du lebst noch. Du trägst zwar den Keim in dir, aber du lebst, und nur das soll für dich wichtig sein. Du musst dich nicht vom Blut der Menschen ernähren.«
Dahlia fing an, sich unruhig zu bewegen. »Das wird dem Schattenprinzen nicht gefallen.«
»Da stimme ich dir zu. Aber dein Schattenprinz wird dich nicht finden, das kannst du mir glauben, ich werde dich vor ihm in Sicherheit bringen.«
Der letzte Satz hatte ihr nicht gefallen. »Das kannst du nicht!«, hielt sie ihm keuchend entgegen. »Das lässt er nicht zu. Er wird sich um mich kümmern und dich vernichten...«
De Valois winkte ab. Dann nickte er in Richtung Tür, die jetzt offen stand. Guy de Flores war zurück und meldete, dass alles in bester Ordnung war.
»Dann steht die Kutsche bereit?«
»Ja.«
Dahlia sagte nichts. Ihre Blicke wechselten zwischen den beiden Männern hin und her. Nur einer kam auf sie zu. Es war der Mann mit dem Degen, den er jetzt leicht erhoben hatte. Die Klinge zeigte auf den Körper der schönen Frau.
De Valois blieb vor dem Sessel stehen. Er strich mit den Fingern der linken Hand über den Stahl, bevor er die Klinge anhob. Es geschah mit einer blitzschnellen Bewegung, und die schöne Dahlia duckte sich. Das hätte sie nicht gebraucht. Sie wäre auch so erwischt worden. Nicht durch einen Stich, sondern durch einen Schlag, der sie am Kopf traf. Ein Treffer reichte aus, um sie bewusstlos werden zu lassen.
Der Templer Hector de Valois war zufrieden. Er nickte Guy de Flores zu, der langsam näher kam.
»Du sorgst aber für alles vor.«
De Valois ließ den Degen verschwinden. Er glitt in die Scheide. »Nur so kommt man weiter im Leben.«
»Und jetzt willst du mit ihr losfahren?«
»Ja. Ich muss den Tag über fahren und bis in die nächste Nacht hinein.«
»Ganz allein?«
»Nein, nicht ganz allein. Ich habe sie doch dabei. Sie ist ein Mensch geblieben, und dafür hätte sie eigentlich dankbar sein müssen.«
Guy de Flores lachte nur. Er war trotzdem froh, dass diese Person außer Reichweite geschafft wurde. Die Zeiten waren hart. Warum sollte er sich dann noch mit einem Wesen herumschlagen, das es offiziell gar nicht gab?
Es war schon besser, wenn alles in den Händen seines Freundes de Valois blieb...
***
Sicherheitshalber war Dahlia gefesselt worden. De Valois wollte keinen Ärger. Er war auch derjenige, der die Pausen bestimmte.
Es war eine kleine Kutsche, die von einem Pferd gezogen wurde. Es hätte auch noch eine zweite Person hineingepasst. Besetzt war sie nur von Dahlia, und sie lag auf dem Boden zwischen den Sitzen. In diese Lücke war sie hineingerutscht.
Sie konnte und wollte sich nicht befreien. Nur in den Pausen, die auch das Pferd brauchte, kam de Valois zu ihr, um sie zu versorgen. Es gab zu essen und auch zu trinken. Den Proviant hatte der Templer mitgenommen.
Sie schauten sich immer wieder an, aber sie schwiegen auch die
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