1765 - Der Schattenprinz
Geruch in sich aufzunehmen. Es war ein Geruch, der sie anmachte, obwohl er nach Moder, nach Vergänglichkeit und nach leichter Verwesung stank.
Dahlia wollte eine Antwort auf die Frage haben. »Wann – wann ist es möglich, dass ich so sein werde, wie du es bist?«
»Noch zwei Besuche.«
»Nimmst du mich dann mit?«
»Ja, das werde ich. Dann gehört die Welt uns. Darauf kannst du dich verlassen. Du wirst tot sein und dennoch leben. Du bist dann eine Untote, eine Wiedergängerin, vor der die Menschen eine unbeschreibliche Angst haben, denn wir sind ihr Schicksal. Wir, die Geschöpfe der Nacht, und du wirst meine Prinzessin sein.«
Sie hatte jedes Wort aufgesaugt. Ihr Blick hing an den Lippen ihres Besuchers. Sie wartete darauf, dass ihr Schattenprinz endlich über sie kam und ihr Blut trank.
Jetzt öffnete er den Mund. Er zog die Lippen zurück, um endlich seine beiden Blutzähne zu zeigen. Jetzt war er zu dem geworden, auf den sich die Frau gefreut hatte. In großer Vorfreude stöhnte sie auf, bewegte unter der Decke ihre Beine und streckte dem Eindringling ihre Arme entgegen.
Er kannte das Spiel.
Sie kannte es auch.
Beide ließen sich darauf ein.
Dahlia spürte die streichelnde Hand auf ihrer Wange. Dann wurde ein leichter Druck ausgeübt, denn er wollte ihren Kopf in der richtigen Lage haben.
Genau das gelang ihm auch. Wichtig war die linke Halsseite. Sie musste freiliegen.
Bisher hatte das Opfer gesessen. Nun aber sank Dahlia mit einem leisen Seufzen nach hinten, als wollte sie sich in das übergroße Kopfkissen schmiegen.
»Komm endlich, komm! Ich will dich spüren, trink mein Blut, mach mich zu deiner Dienerin und auch Gefährtin.«
Der Schattenprinz wüsste nicht, was er lieber getan hätte. Er warf sich nach vorn, sein Blick war auf die linke Halsseite fixiert, und er rammte dann den offenen Mund nach unten...
***
Der Vampir war jemand, der immer darauf achtete, den Rücken freizuhaben. Das war ihm auch gelungen, denn bisher war er nicht aufgefallen. Man hatte ihn nicht stellen können, es war alles immer wunderbar gelaufen, und er hatte auch zugesehen, dass in seinen Nächten alles perfekt war.
Aber er konnte nicht an alles denken. Und er hatte vor allen Dingen keine Augen am Rücken. Auch in dieser Nacht hatte er fest damit gerechnet, freie Bahn zu haben. Das Blut der Frau zu trinken, sich daran zu laben und sie immer näher an seinen Zustand heran zu holen.
Wie gesagt, er hatte am Rücken keine Augen.
Und deshalb sah er auch nicht, dass die Tür des Zimmers geöffnet wurde. Zuerst nur einen schmalen Spalt, der allerdings wurde sehr bald größer, und darin erschienen die Umrisse zweier Männer.
Sie sahen, was da passierte.
»Und? Habe ich gelogen?«, flüsterte der eine Mann.
»Nein«, erwiderte der zweite Mann und schob die rechte Hand mit dem Degen vor.
»Dann bitte! Retten Sie meine Tochter, solange sie noch zu retten ist.«
»Ich werde tun, was ich kann«, erwiderte der Angesprochene, glitt lautlos in die Kemenate und stieß den Degen genau in dem Augenblick nach vorn, als der Blutsauger seine Zähne in den Hals der Frau auf dem Bett schlagen wollte...
***
Der Schattenprinz hatte gespürt, dass eine Veränderung eingetreten war. Er sah nichts, weil sie hinter ihm stattfand, aber er spürte die Berührung einer Spitze in seinem Nacken. Sicherheitshalber biss er nicht zu und wartete zunächst, ob die andere Seite ihm etwas zu sagen hatte.
»Wenn du das Blut trinken willst, durchbohre ich zuerst deinen Hals und danach dein Herz...«
Der Blutsauger hob den Kopf etwas an. »Ja, ich verstehe.«
Der Mann mit der Klinge ging einen Schritt zurück. Dabei löste sich die Waffe vom Nacken des Mannes.
»Kann ich aufstehen?«
»Ja.«
»Danke.«
Er erhielt keine Antwort, und so erhob sich der Schattenprinz vom Bett in eine sitzende Stellung. Er nahm sogar seine Hände hoch, obwohl das niemand von ihm verlangt hatte. Seinen vorläufigen Bezwinger hatte er noch nicht zu Gesicht bekommen und fragte deshalb: »Wer bist du?«
»Hast du es noch nicht an meiner Stimme erkannt?«
»Schon, aber ich will sicher sein!«
»Dann kannst du dich umdrehen.«
Das tat der Vampir.
Sein Opfer sagte nichts, Dahlia war völlig verstört. Sie lag da und schüttelte immer wieder den Kopf. Dabei sagte sie leise Worte, die keiner verstand.
Der Vampir sagte ebenfalls nichts. Er schaute auf den Mann, der einen Degen in der Hand hielt, dessen Spitze auf seinen Hals wies und die dünne Haut berührte.
»Du
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