177 - Im Reich der Hydriten
siebzehntausend Hydriten von Gilam’esh’gad. So weit irren sie nicht, doch nun fahren diese Toren fort und sagen: Weil die vielen und lang andauernden Kriegszeiten die Geschlechter der Hydree ganz und gar auszurotten drohen, müsse man diejenigen aus den Meeren tilgen, die für das immerwährende Kämpfen und Schlachten verantwortlich seien. Man müsse, so schlägt die Mehrheit des Geheimrates vor, alle Anhänger des Schrecklichen Mar’os an einen bestimmten Ort locken und auf diese dann die geheime Waffe richten, die eine Clique gewissenloser Ingenieure ohne mein und meines Vorgängers Wissen unter den Kuppeln von Gilam’esh’gad entwickelt hat.
O Gipfel der Blindheit! O Abgrund der Verirrung!
Verfluchter Siegeszug der bösen Gedanken des Schrecklichen Mar’os! Mag er leibhaftig auch längst nicht mehr unter den Hydree schwimmen – was er dachte und sagte, hat ein ganzes Geschlecht verdorben und vergiftet!
Mag er selbst längst tot sein – seine verhängnisvolle Saat geht wieder und wieder auf! Nun sogar schon inmitten der geheimen Stadt und unter den Schülern des Großen Gilam’eshs. Oder wie sonst soll ich mir erklären, dass die edelsten und besten Geister der Hydriten Gewalt mit Gewalt bekämpfen wollen? Dass sie Bosheit mit Bosheit austreiben wollen und Verirrung der Herzen mit noch größerer Verirrung? Sogar mein potentieller Nachfolger ist verstrickt in den Irrtum, sogar einige Geistwanderer, wie ich einer bin!
Am Ende werde gar ich noch die Märchen und Legenden glauben müssen, die jener Schreckliche einst in die Meere setzte. Zum Beispiel das haarsträubendste aller Märchen, das seine Anhänger schmatzend vor Andacht und mit leuchtenden Augen verbreiten. So wenig, wie ihr verfluchter Kopfverdreher je geboren worden sei, so wenig sei Mar’os auch gestorben, behauptet diese Mär.
Vielmehr habe er seit Anbeginn der Zeit auf einer Götterwelt namens Mars existiert und sei von dort hierher nach Ork’huz gekommen, um die wahre Lehre zu verkünden und für Ordnung zu sorgen. Anschließend sei er nach Mars zurückgekehrt, von wo im Übrigen auch die von Mar’os eigenhändig geschaffenen Vorväter der Hydree stammen sollen, denn einen Rotgrund habe es niemals gegeben, und so weiter, und so fort.
Ein prächtiges Märchen, alles was Recht ist! Und wahrhaftig – mir scheint, von seiner Götterwelt aus hat der göttliche Mar’os nun sogar schon der Mehrheit meines Geheimrates in die Hirne geschissen. Wie sonst kämen sie auf den Gedanken, Hunderttausende fühlender Wesen zu vernichten?
Doch genug des Spottes, und genug der schuppensträubenden Märchen! Sicher – so wahr es ist, so traurig ist es auch: Ich bin überstimmt, und sie werden ihren Plan verwirklichen und sich somit als heimliche Anhänger des Schrecklichen Mar’os erweisen. Doch mein Entschluss steht fest. Mit dem Anbruch des neuen Lichts werde ich zu meinem letzten Mittel greifen: Ich werde das Amt des Großen Ramyd’sam abschaffen, den Geheimrat auflösen und Neuwahlen ausrufen. Sollten die Einwohner von Gilam’esh’gad zum Ende des darauf folgenden Lichtes wieder diejenigen zu Geheimräten wählen, die Tod und Verderben über die Hydree bringen wollen, dann soll meine Zeit als abgelaufen gelten. Dann will ich nicht nur den Namen des Menschenmannes dort oben im Boot unter der Sonne annehmen – er heißt Kaj’in – sondern auch seinen Körper. Ja, so wahr die Schöpfer mich bis zu diesem Tag mit ihrem Lächeln beglückt haben: Dann will ich in Menschengestalt als Lehrer unter den Menschen wandeln. Vielleicht kann ich so die schwere Verirrung der Hydriten sühnen und die Gunst der Schöpfer für Gilam’esh’gad zurück gewinnen.
Das ist alles, was ich zu sagen habe. Mir ist bange, meine Hoffnung kaum noch ein Funken, und ich fürchte, dies werden meine letzten Worte im wahren Buch der Chroniken gewesen sein.
***
Zwei Stunden lag er wach und starrte in den Sternenhimmel. Die erste Stunde verbrachte er im stummen Zwiegespräch mit seinem alten Freund Quart’ol, die zweite schwamm er im Körper seines brüderlichen Freundes Gilam’esh durch die Meere des Rotgrunds. Endlich schlief er ein. Als er wieder hochfuhr, war es hell und auf seiner Brust lagen sowohl Voglers als auch Clarices Hände. Sie schüttelten seinen Oberkörper hin und her.
»Du musst aufwachen, Matt«, sagte Clarice, und die Art, wie sie das sagte – heiser, leise und mit hohler Stimme – riss Drax sofort aus dem Schlaf.
Er kniete im Boot und sah in
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