177 - Im Reich der Hydriten
Clarice merkte, dass der blonde Erdmann gereizt war, und ließ ihn in Ruhe.
Zwei Mal zog Vogler den akustischen Impulsgeber aus dem Wasser, um ihn aufzuziehen, bis Matt Drax endlich die Karten zusammenfaltete. »Wir treiben auf dem Indischen Ozean«, sagte er. »Irgendwo zwischen dem dreißigsten Grad südlicher Breite und dem fünfzigsten Grad östlicher Länge. Hier lagen früher die Malediven, bevor sie überspült wurden.«
»Und jetzt?«, fragte Vogler. »Wie gehen wir weiter vor?«
»So wie bisher auch.« Matt verstaute Sextant, Kompass und Karten in einem Container und löschte die Öllampe.
»Wir ziehen alle halbe Stunde die Eieruhr auf und warten. Irgendwann werden uns die Hydriten finden. Die Chancen stehen sogar recht gut.«
»Was macht dich so sicher?«, wollte Vogler wissen.
»Ich habe einen guten Freund unter den Fischmenschen: Quart’ol«, sagte Matt. »Eine Zeitlang war er sogar in meinem Geist… zu Gast, könnte man sagen. So wie ich in Gilam’esh. Damals erfuhr ich alles, was er wusste – auch dass im indischen Ozean zwei uralte Unterwasserstädte der Hydriten existieren.« Drax streckte sich auf dem Rücken aus. »Vergesst nicht, die Eieruhr regelmäßig aufzuziehen. Gute Nacht.«
***
Dies sind die letzten Aufzeichnungen des Neunundzwanzigsten Großen Ramyd’sams, die er im Auftrag des Geheimrates von Gilam’esh’gad dem wahren Buch der Chroniken hinzufügte.
Er tat dies im hundertneunzigsten Umlauf der siebten Kriegszeit.
Güte und Nachsicht der Schöpfer sei mit allen Hydriten, die dieses einzige und wahre Buch der Chroniken lesen. Sind doch alle anderen Bücher, die als Chroniken unseres Volkes ausgegeben werden, weiter nichts als Prahlereien mit Kriegen und Schlachten und Raubzügen und Massakern und den Namen derer, die sich einst vor den Schöpfern dafür verantworten müssen.
Mögen ihre Nachkommen aussterben und ihre Namen der Vergessenheit anheim fallen! Möge mit ihnen auch der Name »Hydree« in Vergessenheit fallen! Möge die Weisheit und Güte des Großen Weltenwanderers Gilam’esh nunmehr mit dem Namen »Hydriten« verbunden bleiben, wie wir, seine Anhänger, uns seit Ende der sechsten, über zweitausend Umläufe währenden Kriegszeit nennen.
Vor zwei Lichtern haben sie mir einen Mann aus dem Geschlecht der Menschen gebracht. In einem kleinen Holzboot und schwer verletzt trieb er aus der Mündung der beiden Ströme ins offene Meer hinaus. Noch atmet er, noch kann er sprechen. Er sei auf der Flucht, sagt er. Er habe seinen Bruder getötet, sagt er. Ich habe befohlen, ihn hoch über Gilam’esh’gad in seinem Boot auf dem Meer treiben zu lassen, bis die Sonne ihm das Leben aus dem Leib gebrannt hat. Genau das und mit diesem Wortlaut habe ich es befohlen – die Schöpfer mögen mir meinen Zorn verzeihen –, in Wahrheit jedoch wird er nicht sterben. Ich allein kenne sein wahres Schicksal, meine Entscheidung steht fest. Doch davon später mehr.
Woher mein Zorn? Der Menschenmann dort oben in seinem lächerlichen Boot bestätigt alle Erfahrungen, die wir Hydriten bislang mit dem Menschengeschlecht gemacht haben: Es ist eine kriegerische Gattung, die da auf zwei Beinen über den festen Grund dieser schönen Wasserwelt wandert, vermutlich nicht besser als die Hydree. Denn wenn sie nicht gerade ihre Äcker bestellen, ihre Weiber bespringen oder dem Wild in den Wäldern auflauern, schlagen sie einander die Schädel ein.
Einiges spricht dafür, dass es Mar’os-Anhänger waren, die den Menschen so manche Waffe des Kriegshandwerks brachten und es so manche Schliche und Grausamkeit lehrten.
Einige Hydriten des Geheimrates von Gilam’esh’gad schlagen nun vor, es den Hydree gleichzutun und Lehrer in die Siedlungen und Höhlen und zu den Horden und Stämmen auf dem festen Grund zu senden, um einzelne, auserwählte Exemplare des Menschengeschlechts in die Lehren des Großen Gilam’esh und die Weisheiten und Fertigkeiten seiner wahren Anhänger, der Hydriten, einzuweihen. Ich, der Neunundzwanzigste Große Ramyd’sam, erkläre hiermit feierlich: Die solches vorschlagen, sind weise zu nennen und sie haben Recht.
Denn warum sollte man allein den Schlächtern und Kriegern der Hydree den Einfluss auf das Menschengeschlecht überlassen?
Und nun hört, was der andere, größere Teil des Geheimrates von Gilam’esh’gad allen Ernstes vorschlägt.
Es seien kaum noch fünfhunderttausend Hydree, welche die Meere dieser Welt bevölkern, sagen sie, nicht mitgerechnet die
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