1773 - Das andere Jenseits
dicht darüber in der Luft. Das jedoch interessierte sie nur am Rande, etwas anderes war wichtiger.
Das Gesicht über ihr!
Es war markant, es gehörte einem Mann, dessen Augen recht dunkel waren. Sie fürchtete sich nicht vor dem Fremden, dessen schwarzes Haar im Wind wehte und dessen Lippen sich zu einem Lächeln verzogen hatten.
Krista Hellsen begriff die Welt nicht mehr. Noch vor Kurzem hatte sie mit ihrem Leben abgeschlossen gehabt, und jetzt geschah dies, das war kaum zu fassen.
Aber wieso schwebte der Mann in der Luft? Hatte er auch Flügel? War er vielleicht ein Engel, der auf der anderen Seite stand, oder erlebte sie hier einen Traum, der sich radikal gewandelt hatte und nun positiv ausfiel?
Sie konnte es nicht sagen. Sie wusste nur, dass sie gerettet worden war.
Sie lag noch immer im Griff dieses Retters, der jetzt mit ihr dem Boden noch weiter entgegen sank, und sie erkannte bereits das Dach des Geländewagens.
Sekunden später wurde sie sanft abgestellt, und sie schaute in das ungläubig verzogene Gesicht der Tierärztin, die den Kopf schüttelte, dann beide Hände ausstreckte, um Krista Hellsen zu umarmen.
»Du – du bist es tatsächlich. Mein Gott, ich habe dich schon zerschmettert am Boden liegen gesehen.«
»Ja, ich mich auch.«
»Und wer hat dich gerettet?«
»Ich kenne ihn nicht, aber ich bin ihm sehr dankbar.« Sie löste sich von Maxine Wells. Plötzlich fürchtete sie, dass ihr Retter verschwunden war, aber diese Furcht war unbegründet, denn er stand noch da. Er war ganz in Schwarz gekleidet und trug einen Umhang, der wie ein Mantel wirkte.
Als Krista ihn länger als gewöhnlich anschaute, deutete er eine Verbeugung an und stellte sich vor.
»Ich bin Raniel, der Gerechte!«
***
Jetzt war der Name heraus. Und der Gerechte wartete erst mal ab, wie die beiden Frauen reagieren würden.
Krista Hellsen stand noch zu sehr unter dem Eindruck des Erlebten, als dass sie etwas hätte sagen können. Das übernahm Maxine Wells, denn ihr war etwas aufgefallen. Sie drehte sich der dunkel gekleideten Gestalt zu und fragte: »Bist du auch ein Engel? Dem Namen nach könntest du es sein.«
»Ich bin der Gerechte.«
Die Antwort befriedigte Maxine nicht. »Aber du bist auch ein Engel, nicht wahr?«
»Kein reiner.«
Das war für sie erst mal genug. Mehr wollte sie gar nicht wissen. Sie stellte keine Fragen mehr, dachte aber nach. Ihr fiel etwas ein, aber sie wurde es nicht los, weil es noch zu weit in ihrer Erinnerung verborgen lag. Sie konnte sich auch irren, aber sie wusste im Unterbewusstsein, dass sie sich nicht irrte.
Es ging ihr um den Namen Raniel. Der wollte ihr nicht aus dem Kopf. Sie schaute zunächst zu, wie Krista sich auf den Boden setzte und sich mit dem Rücken gegen den Reifen lehnte. Es tat ihr gut, so zu sitzen und erst mal mit ihren Problemen fertig zu werden.
»Raniel«, flüsterte die Tierärztin.
»Ja und?«
»Kann es sein, dass ich den Namen schon mal gehört habe?«
»Das weiß ich nicht. Aber wie heißt du?«
»Maxine.«
»Der Name ist mir neu.«
»Ja, ich weiß, aber deinen Namen kenne ich. Ein Freund von mir hat ihn mal erwähnt, glaube ich. Und das kann wirklich nur ein bestimmter Mann gewesen sein.«
»Wie heißt er?«
»John Sinclair!«
Das war der Augenblick, an dem auch Raniel überrascht war. Er sagte nichts, er presste nur für einige Sekunden die Lippen aufeinander, sodass sein Gesicht einen harten Zug annahm und Maxine schon an etwas Schlimmes dachte.
»Du kennst John?«
»Ja. Sehr gut sogar. Man kann sagen, dass wir Freunde sind.«
»Das sind wir auch«, flüsterte Maxine. »Und nicht erst seit gestern.«
»Und wo steckt er jetzt?«, fragte Raniel.
Maxine atmete tief durch. »Eigentlich müsste er hier sein.«
»Wie?«
»Ja, hier in dieser Welt. Wir sind gemeinsam hierher gekommen, aber dann hat es uns erwischt und John wohl auch. Ich weiß nicht, wo er sich aufhält. Wir haben uns getrennt. Er wollte etwas erkunden, und wir sind hier geblieben.«
Raniel schaute sich um. »Ich habe ihn nicht gesehen.«
»Schade.« Maxine hatte sich wieder gefangen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und schaute dem Gerechten ins Gesicht. Dann fragte sie: »Was wird hier gespielt?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber das geht doch nicht. Du bist hier und musst wissen, was abläuft.«
»Nein, das weiß ich nicht. Es war der reine Zufall, dass ich hier bin. Oder beinahe. Ich bin immer unterwegs, ich schaue nach, wo ich eingreifen kann, und ich habe gesehen,
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