1774 - Ranjas Rudel
dazu? Wollte sie mit dem Entsetzen Scherz treiben?
Möglich war alles und er traute ihr auch gewisse Dinge zu, ohne dass er das ihr gegenüber hätte zugeben wollen. Er suchte nur nach einem Ausweg, die Geschichte nicht zu dramatisieren.
»Ähm – Werwölfe?«
»Ja.«
»Aber wieso?«
Ranja lächelte ihn an »Wieso nicht?«, fragte sie. »Hast du noch nichts von irgendwelchen Werwölfen gehört?«
Toby Bell runzelte die Stirn und saugte die Luft durch die Nasenlöcher ein. »Ja, ja, ich habe schon von Werwölfen gehört. Auch von Vampiren. Irgendwo gehören die beiden ja zusammen. Oder irre ich mich da?«
»Nein, du irrst dich nicht. Und weiter?«
»Sorry. Mehr weiß ich nicht. Ich habe früher mal Filme gesehen, in dem Werwölfe vorkamen. Sogar einen mit Jack Nicholson, aber das war alles.« Er schielte auf die Tiere und erlebte wieder den eisigen Blick der Augen.
»Du solltest deine Ansichten mal überdenken«, schlug die exotische Frau vor.
»Warum denn?«
»Das ist ganz einfach. Es gibt die Werwölfe. Sie befinden sich in deiner Nähe und sie werden sich bald verändern wollen. Dann werden sie aggressiv, dann brauchen sie Blut, dann machen sie sich auf den Weg, um Opfer zu suchen.«
»Ehrlich?«
»Warum sollte ich lügen?«
Er lachte unecht und fragte: »Haben Sie von diesen Tieren hier im Abteil gesprochen?«
»Ja, wovon sonst?« Sie tätschelte wieder die Rücken ihrer Lieblinge. »Das wirst du bald erleben.«
»Glaube ich nicht.«
Ranja lachte. »Warum glaubst du das nicht?«
»Weil es keine Werwölfe gibt!«
»Wetten doch?«
Toby Bell hatte etwas sagen wollen, aber er schloss den Mund. Kein Wort drang mehr über seine Lippen. Er wusste, dass er die Frau nicht würde überzeugen können. Sie glaubte offensichtlich fest daran, dass ihre Tiere Werwölfe waren. Vielleicht tickte sie ja nicht richtig.
Aber so ganz sicher war er sich dessen nicht. Zu intensiv hatte die Frau ihre Argumente vorgetragen, und für Toby Bell gab es eigentlich nur eine Entscheidung.
Weg von hier. Weg aus dem Abteil und sich ein anderes suchen. Das war am besten. Er brauchte nur aufzustehen und wenige Schritte zu gehen, dann hatte er es hinter sich.
Aber das war nur Theorie.
In der Praxis bekam er kein Bein hoch. Er saß da, als hätte man ihn fest genagelt. Und er spürte auch an sich eine Veränderung. Er fing nämlich an zu schwitzen. Auf seiner Stirn perlte bereits der Schweiß. Jetzt spürte er ihn auch im Nacken. Am liebsten hätte er ein Taschentuch genommen und ihn weggewischt, doch auch das traute er sich nicht. Bewegungslos saß er auf dem Sitz und fühlte sich von vier eisigen Augenpaaren kontrolliert.
Es gab noch ein fünftes Paar, das ihn beobachtete. Und das gehörte Ranja. Sie lächelte sogar und fragte mit leicht spöttischer Stimme: »Was ist los mit dir?«
»Nichts, nein, gar nichts.«
»Lüg nicht. Ich sehe dir doch an, dass etwas ist. Also raus mit der Sprache.«
Toby nickte. Er suchte nach einer plausiblen Antwort. Andere Stimmen in seinem Innern rieten ihm aufzustehen, das Abteil zu verlassen und zu verschwinden.
Das war nicht möglich, er konnte sich nicht bewegen. Für ihn war alles so neu, so anders. Er hatte doch nur eine Zugfahrt nach London machen wollen und geriet jetzt in so etwas hinein, für das es keine Erklärung gab.
Dann bereitete er sich innerlich darauf vor, den Halt an der nächsten Station auszunutzen und den Waggon zu wechseln. Er spielte auch mit dem Gedanken, aus dem Zug zu steigen und erst morgen früh weiterzufahren. Das kostete ihn zwar Zeit, aber es war besser, als die Stunden mit dieser Frau und ihren Wölfen zu verbringen.
»Schlecht, nicht wahr?«, fragte sie.
»Was ist schlecht?«
»Dass man sich zu keiner Entscheidung durchringen kann. Und du willst dich doch entscheiden.« Sie setzte sich bequemer hin und winkte ab. »Aber lass dir Zeit, wirklich. So eilig ist es nicht.« Plötzlich schnippte sie mit den Fingern. »He, der Zug hält.«
»Ist das Dundee?«
»Nein, noch nicht. Dundee ist die nächste Station. Beim Einsteigen habe ich mit dem Schaffner gesprochen. Er hat es mir gesagt. Ein lieber Kerl, wirklich. Nur schade...«
Toby Bell war neugierig geworden. »Was ist schade?«
»Dass er eines der Opfer wird.«
»So?« Toby stieß den Atem scharf aus. »Von wem denn, bitte?«
»Schau nach unten. Dann siehst du meine Freunde.«
»Ach, die Wölfe.«
»Die Werwölfe.«
»Schon gut.«
Es wurde heller. Der Zug lief in den Bahnhof ein. Der Ort hieß
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