178 - Die vergessene Macht
vorn in der Dunkelheit, und von dort kam auch das schwächer werdende Klacken.
»Ich glaube, das hat was zu bedeuten«, sagte Daa’tan.
Crologg runzelte die Stirn. »Waren die Steine ein Zeichen auf deinem Messer?«
»Nein. Aber sie standen in einem Geheimgang.«
»Schön. Und jetzt sind sie umgefallen.« Ungeduldig wandte sich Crologg an seine Männer. »Habt ihr Edward gefunden?«
»Er ist weg, Cro!«
Daa’tan zupfte erneut an seinem Ärmel. »Die Steine fallen um, seit du gegen den Schlangenzahn getreten hast.«
»Meine Güte – kannst du nicht endlich die Klappe halten, du dumme Pest?« Crologgs rote Augen funkelten.
»Was willst du von mir? Wen kümmern die verdammten Steine?«
Daa’tan zuckte die Schultern. »Na ja, ich frage mich, warum sie jemand so sorgfältig an einem Ort aufgestellt hat, wo sie normalerweise keiner sieht?«
Crologg stutzte. Er dachte nach, und plötzlich veränderte sich seine Miene.
»Verflucht!« Er warf sich herum und rannte los. »Jack! Gill! Haid! Hinter mir her! Beeilt euch!«
»Aber was ist mit Edward? Wir können ihn doch nicht einfach zurücklassen!«, rief Jack entrüstet.
»Siehst du ihn irgendwo?«, fragte Daa’tan.
»Nein.«
»Dann solltest du besser mitkommen.«
Daa’tan machte kehrt und folgte dem Anführer.
Ein Stück weiter vorn öffnete sich der enge Gang zu einem Raum. Die Decke war dort über zwei Meter hoch; trotzdem huschte Crologg gebückt an der Wand entlang, mit wehender Kutte und unablässig vorschnellender Hand. Die Steine waren nicht sonderlich groß und im Halbdunkel schlecht zu greifen.
Wieder und wieder verpassten seine Finger den Treiberstein. Daa’tan versuchte zu helfen. Darüber verfing sich Crologg an seinem schleifenden Kuttensaum und geriet ins Stolpern. Er stieß fluchend die Fackel fort, sie schlidderte über den Boden und landete mit einem Funkenregen an der Schwelle zu einem düsteren Gewölbe.
Schneller, als es sich beschreiben ließe, nahmen die Dinge ihren Lauf. Fußgetrappel und erregte Stimmen wurden laut, als die Männer nacheinander heran eilten.
Mit ihnen kam Licht in den Raum. Daa’tans Blick überholte die fallenden Steine und entdeckte das bisher verborgene Ende der Reihe in einer Nische am Gewölbeeingang, weit von Crologg entfernt. Dort lag eine große rechteckige Stahlfeder, zu Boden gespannt und von einer Stange in Position gehalten. Der letzte Stein würde sie treffen, wenn er fiel. Aber welchen Nutzen hatte das? Gab es überhaupt einen?
Daa’tan konnte sich die Sache nicht erklären, deshalb wandte er sich dem Gewölbe zu, denn seltsamerweise erklang von dort gedämpftes Plätschern. Daa’tan lief zum Eingang, wo Crologgs am Boden liegende Fackel etwas Helligkeit verbreitete. Fünf, sechs Schritte hinter ihr war ein Gitter. Zwischen den Stäben ragte eine nasse Hand in die Höhe. Ihre Finger bewegten sich.
»Ich glaube, da ist Edward!«, sagte Daa’tan verblüfft.
Er bückte sich nach Crologgs Fackel.
Als er sie aufhob, streifte ihr Licht einen Stein, den Daa’tan vorher nicht bemerkt hatte. Er ragte ein paar Zentimeter über die Bodenplatten hinaus und befand sich genau dort, wo die zurückschlagende Stahlfeder auftreffen würde. Das musste eine Bedeutung haben!
Daa’tan zögerte. Eigentlich wollte er ja sofort in das Gewölbe rennen und nachsehen, ob die Hand tatsächlich Edward gehörte. Aber er konnte doch das Rätsel hier nicht ungelöst lassen! Crologg kam bereits auf die Stahlfeder zu – und mit ihm kamen die Steine.
Eine nach der anderen fiel um. Inzwischen beteiligten sich auch Jack, Gill und Haid an der Jagd nach dem Treiberstein. Das Ergebnis war ein Gedränge aus gebeugten Körpern, schwankenden Fackeln und Händen, die sich gegenseitig behinderten. Daa’tan ahnte, dass die Männer keinen Erfolg haben würden.
Plötzlich huschte ein Lächeln um seine Mundwinkel.
Er trat vor, bückte sich und nahm kurzerhand den letzten Stein der Reihe weg. Daa’tan warf ihn in die Dunkelheit.
Das Geräusch des Aufpralls ließ Crologg hochfahren.
Dumpfes Nichtbegreifen stand in seinen Augen, während die Steinreihe ins Leere lief und Daa’tan grinsend davon schritt.
Der Zwölfjährige hatte keine Angst, als er das Gewölbe betrat. Warum auch? Die Suche nach Nuntimor machte ihm Spaß, aber gefährlich war sie nicht. Davon war er überzeugt, denn selbst Edward ging es gut! Er war in ein altes Kanalsystem gestürzt, das unterhalb der Tempelmauern lag und von einem nahen Fluss gespeist wurde.
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