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178 - Die vergessene Macht

178 - Die vergessene Macht

Titel: 178 - Die vergessene Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Seidel
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Gefangene töten.
    Es war der Tag, an dem Nuntimor verschwand.
    Abendröte tauchte das riesige englische Heereslager in gespenstisches Licht. Vor den Zelten brannten Lagerfeuer; Wimpel flatterten im Wind. Er trug den Geruch von Blut und Schwefel heran. Überall schnaubten und wieherten unruhige Pferde. Scharen müder Krieger kehrten vom Schlachtfeld zurück, stützten sich gegenseitig.
    Manche weinten. Es hatte lange gedauert, zweitausendsiebenhundert Menschen mit dem Schwert zu töten, und das Betteln der Unbewaffneten war schwer zu ertragen gewesen.
    »Gebt Wein an die Männer aus und sagt ihnen, sie haben im Namen des Herrn gehandelt!«, befahl Richard Löwenherz, warf die Zügel seines Pferdes einem Burschen zu und ging in das königliche Zelt. Er zerrte unterwegs an den Riemen, die seine Rüstung hielten.
    Helfende Hände griffen nach ihm. Er stieß sie fort. Als er den Gürtel gelöst hatte, an dem die Schwertscheide hing, stutzte er. Aus der Halterung quollen rote Tropfen. Der König zog die Klinge ein Stück heraus, dann warf er das Schwert beiseite: Nuntimor schwamm im Blut der Getöteten!
    Ein Mann aus dem Tross der Marketender wurde hereingeführt. Er nannte sich Josua und war – anders als der Leibarzt des Königs – sehr geschickt im Vernähen von Wunden. Er bot auch Heiltränke und Salben an. Die Preise waren gesalzen und ließen sich kaum herunter handeln, weil man sich mit dem freundlichen alten Heiler nur durch Zeichensprache verständigen konnte.
    Josua begleitete das Heer schon seit Wochen und galt als sehr zuverlässig. Man vermutete, dass er aus Jerusalem kam.
    Richard Löwenherz hatte sich beim Streifen eines fremden Steigbügels eine Schnittwunde zugezogen. Sein Leibarzt stand mit langem Gesicht daneben, als Josua mit der Versorgung begann. Der König lachte.
    »Seht Euch nur an! Ihr stolpert gleich über Euer Kinn«, spottete er.
    »Mit Verlaub, Sire.« Der Leibarzt verbeugte sich, steif wie ein Brett. »Ihr seid der König! Ihr solltet Euch nicht in die Hände eines Juden begeben.«
    »Ihr sagt es, Tiaran: Ich bin der König.« Richard Löwenherz ergriff einen dargebotenen Kelch und trank in langen Zügen. Er fuhr sich mit der Hand über den Mund. »Und wenn Eure Eisennadeln nicht solch garstige Wülste hervorbrächten, dürftet Ihr meine Wunden nähen.«
    »Aber was ist mit Eurer Sicherheit, Sire?«
    »Was soll damit sein?«, fragte der König unbekümmert. »Ich habe doch Euch – und Nuntimor!«
    Er zeigte auf das blutbeschmierte Schwert am Boden.
    Es hatte beim Fallen die Zeltwand gestreift und eine rote Spur hinterlassen. Am Gold seines Griffes spiegelte sich das Lagerfeuer draußen. Wind fuhr unter dem Zelt her, ließ die Flammenbilder tanzen und hauchte dem Drachen von Cornwall unwirkliches Leben ein.
    Der König lächelte. »Es stimmt, was die Custoden sagten. Dieses Schwert macht unbesiegbar!« Sein Lächeln vertiefte sich. »Wären wir nicht gute Christen, könnte ich beinahe glauben, dass es magische Kräfte besitzt.«
    Ein Raunen ging durch das Zelt. Bestürzte Gesichter wandten sich dem König zu, und überall flogen Hände hoch, um nur rasch das Kreuzzeichen zu schlagen.
    Eigentlich war es eine ernste Angelegenheit. Doch der Wein, die Wärme und die Müdigkeit forderten ihren Tribut: Richard Löwenherz bog den Kopf zurück und brach in schallendes Gelächter aus.
    Er verschluckte sich, begann zu husten, und sofort stürzte seine Gefolgschaft auf ihn zu. Es gab ein großes Gedränge. Jeder wollte der Erste sein, um den König zu stützen, seinen Rücken zu klopfen oder sich sonst nützlich zu machen. Man brachte ihm Wasser. Alles, was im Weg stand, wurde achtlos zur Seite gestoßen.
    Als der Hustenanfall endete, war Josua fort. Er musste das Zelt ziemlich überstürzt verlassen haben, denn seine Tasche mit den medizinischen Gerätschaften stand noch da. Das kümmerte keinen, auch die ins Zelt geeilten Wachen nicht, schließlich hielt man Josua für einen unbedeutenden Juden. Später sollte man in seiner Tasche ein Amulett entdecken. Die vermeintlich hebräischen Schriftzeichen darauf waren in Wahrheit arabisch, und sie lauteten übersetzt: Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet.
    Vorher aber entdeckte man noch etwas anderes.
    Nuntimor war verschwunden.
    ***
    9. November 2522
    Grao’sil’aana lag im Sterben. Der mächtige Daa’mure war ein Gefangener in seinem Wirtskörper – mattgesetzt durch einen simplen Trick. Diese Erkenntnis hatte ihn geschockt

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