178 - Die vergessene Macht
er.
Daa’tan zeigte an ihm vorbei. »In der Ecke da hinten ist was! Ich kann es nur nicht genau erkennen, wenn nie einer hinleuchtet.«
»Haid! Jack! Kommt mit mir!«, rief Crologg und watete los. Er klatschte im Vorbeigehen seine Hand an Gills Hinterkopf. »Und du hör auf zu jammern!«
Die Männer kämpften sich zur Ecke vor. Sie waren überzeugt, den Tod vor Augen zu haben. Gleich darauf wurde die Überzeugung zur scheinbaren Gewissheit.
Crologg, Jack und Haid kreischten vor Entsetzen, als das Licht ihrer Fackeln eine furchtbare Gestalt aus der Dunkelheit holte. Sie schien durch die Wand zu springen, man sah nur den vorderen Teil des Körpers. Da waren schreckliche Zähne in einem riesigen Maul, böse Augen vor einer wallenden Mähne und eine Pranke, die bereits zum Schlag ausholte.
Crologg und seine Gefährten kannten keine Löwen; es hätte allerdings auch kaum einen Unterschied gemacht.
Obwohl sie merkten, dass das Tier nur eine Statue war, wichen sie zurück.
»Du da!« Crologg winkte Daa’tan heran. Als der Junge in Reichweite kam, packte er ihn und zog ihn zu sich heran. Er raunte: »Kann uns das Ungeheuer retten?«
»Ich weiß es nicht«, raunte Daa’tan zurück. »Aber es wäre möglich. Auf meinem Messer war ein Zeichen, das ihm ähnlich sah.«
Crologg stieß ihn nach vorn. Daa’tan geriet ins Taumeln, drohte zu stürzen und griff aus reinem Reflex nach der krallenbewehrten Pranke.
Etwas knackte.
***
1190 n.Chr.
Die Zeit der Drachen und Druiden war längst vorbei.
Nur der Krieg lebte fort, und jetzt, im Hochmittelalter, richteten sich die Schwerter der Könige von England, Frankreich und Deutschland auf ein gemeinsames Ziel: Jerusalem.
Nach dem kurzfristigen Erfolg des Ersten Kreuzzuges und dem katastrophalen Ausgang des Zweiten schickte England den charismatischen Richard Löwenherz nach Palästina. Saladin, der Sultan von Ägypten, hatte es erobert, und König Richard I. sollte das Land von den Ungläubigen befreien. Dass er diese Aufgabe nicht aus christlicher Passion übernahm, zeigte sich für solche, die es erkennen wollten, an der Namensgebung eines seiner Schwerter: Excalibur. Es war nicht das Original, nicht einmal eine Nachbildung. Richard Löwenherz gedachte seinen Kreuzzug mit einer Waffe zu führen, die nach einem heidnischen Fetisch benannt war.
Aus diesem Grund suchten ihn die Custoden auf.
Mordreds eigenartiges Schwert, das nicht rosten wollte, war noch immer in ihrer Obhut. Inzwischen glaubte niemand mehr, dass König Artus leibhaftig zurückkehren würde, allerdings sahen die Custoden in ihm weiterhin einen Verräter, der mit seiner Hinwendung zum Christentum das Ende der Druidenherrschaft eingeläutet hatte. Das Volk sollte ihn vergessen, deshalb behauptete die Bruderschaft seit nunmehr zwei Jahrhunderten, Artus habe nie gelebt.
Langsam stellte sich Erfolg ein, denn es gab nichts Schriftliches aus den Tagen von Camelot, doch der Preis war ein kurioses Patt: Wer den König als Fantasieprodukt darstellen wollte, durfte auch kein Wort über Mordreds Schwert verlieren. Nuntimor war der indirekte Beweis für Artus’ Existenz.
Als die Bruderschaft Richard Löwenherz aufsuchte, war Nuntimors Geschichte durch viele Generationen gegangen, mündlich überliefert und immer weiter verfälscht. Man sprach nicht länger von einem Götterschwert, das die Rückkehr des Königs vereiteln sollte. Auch der Kampf der Religionen war entschieden; es gab keine Druiden mehr.
Aber was es noch gab, war Erfolg – und den boten die Custoden Richard Löwenherz an, im Tausch gegen Reichtum und Macht.
Da war etwas Seltsames um Mordreds Schwert, das merkte der König, als er es hoch schwang. Es sang nicht wie Excalibur, lag schwer in der Hand. Dennoch: Diese eine Bewegung genügte, und man hatte das Gefühl, unbesiegbar zu sein. Richard Löwenherz schloss einen Pakt mit den Custoden. Dann brach er auf.
Der Dritte Kreuzzug stand unter einem schlechten Stern. Philipp II. von Frankreich scheiterte, Kaiser Barbarossa ertrank. Nur Richard Löwenherz marschierte siegreich bis Akkon, der Küstenstadt, in der sich Saladin verbarrikadiert hatte.
Der Sultan beantwortete den Angriff der Engländer mit Griechischem Feuer, einer explosiven Mischung aus Öl, Pech und Schwefel. Aber trotz hoher Verluste blieb das Glück Richard Löwenherz hold: In der Stadt brach eine Hungersnot aus. Saladin musste aufgeben. Als sich die Zahlung des Lösegeldes verzögerte, ließ Richard I.
zweitausendsiebenhundert
Weitere Kostenlose Bücher