1782 - Der Feuer-Vampir
verstehen?«
»Otto ist tot.« Plötzlich konnte der junge Mann nicht mehr. Tränen schossen ihm aus den Augen. Er presste seine Hände gegen das Gesicht und schüttelte den Kopf.
Karina war Menschenkennerin genug, um zu wissen, dass dieser Mensch nicht schauspielerte. Ottos Tod hatte ihn tatsächlich stark getroffen und sie wollte, dass sich der Bote erst mal beruhigte, was allerdings nicht sofort geschah.
Karina musste warten, bis sich der junge Mann erholt hatte. Dann drückte er seinen Kopf zurück, zog die Nase hoch, schnäuzte sich und wischte über seine Augen.
»Entschuldige, aber ich konnte nicht anders.«
»Bitte, das macht nichts.«
»Otto stand mir nahe.«
»Wie nahe denn?«
»Ich habe bei ihm gewohnt. Reicht das?«
»Immer.« Karina nickte. »Und jetzt ist er tot?«
»Ja.«
»Wie konnte das kommen?«
»Er ist verbrannt.«
»Wo?«
»In seiner Wohnung.«
Karina schluckte. »Wirklich?«
»Da liegt er noch.«
»Und wie kam es?«
»Ich weiß es nicht genau, ich habe ihn nur dort liegen sehen, das ist alles.«
Karina nickte. Mit diesem Fortgang hatte sie nicht gerechnet. Aber sie hatte auch nicht gewusst, was man ihr da hatte mitteilen wollen. Und ob dieser junge Mann das wusste, mit dem Otto zusammengelebt hatte, war auch die Frage.
»Wie heißt du?«
»Otto hat mich immer Karl genannt. Er liebte die deutschen Namen.«
»Okay, Karl, dann wollen wir mal losgehen. Du bringst mich zu Ottos Wohnung?«
»Ja.«
»Ist es weit?«
»Nein, auf der anderen Seite des Kanals.«
»Super.« Karina lächelte. So musste sie nur über die Brücke gehen, um das Ziel zu erreichen. Sie nickte Karl zu, der noch mal über seine Augen wischte. Sie hatte gar nicht gewusst, dass Otto mit einem jungen Mann zusammenlebte. Es war ihr egal. Jeder sollte selbst sehen, wie er glücklich wurde.
Sie gingen über die Brücke. Karl hatte den Kopf gesenkt und schaute vor seine Füße. Hin und wieder wischte er über seine Augen oder zog die Nase hoch.
Als sie die andere Seite erreichten, mussten sie nur noch ein paar Schritte bis zum Ziel gehen. Karl deutete auf ein altes Patrizierhaus, das mit großen Fenstern versehen war.
»Hier?«, fragte Karina.
»Nein, nicht hier direkt. In einem Hinterhaus haben wir gewohnt. Hier vorn ist es zu teuer.«
»Das glaube ich gern.«
Man brauchte kein Bewohner von Moskau zu sein, um zu wissen, dass die Preise in dieser Stadt in der letzten Zeit um einiges in die Höhe geschnellt waren. Wer hier mitmischen wollte, der brauchte genügend Kohle. Und da gab es zahlreiche Menschen, die genug Geld hatten. Wie sie daran gekommen waren, darüber sprach man am besten nicht. Das konnte lebensgefährlich werden.
Es gab nicht weit entfernt einen Durchgang zur Rückseite des Hauses. Er führte wie ein Tunnel durch die Hauswände und war nicht mehr als ein dunkler Schlauch.
»Soll ich Licht machen?«
»Nein, nicht nötig.« Karina Grischin lächelte. »Ich finde mich auch so zurecht.«
»Gut.«
Sie traten ein in den Tunnel, in dem es roch. Nein, es war schon mehr ein Gestank, denn die Menschen hatten hier auch ihren Urin hinterlassen.
Sie gingen ihn durch und erreichten das andere Ende, das sie auf den Hinterhof brachte. Er war recht groß. Hier standen sogar einige Häuser, die neu aussahen. Wer die gebaut hatte, wusste Karina nicht, aber auch nicht, wer eine solche Genehmigung gegeben hatte. Wahrscheinlich keiner.
Es war niemand zu sehen. Trotzdem überkam Karina das Gefühl, von mehreren Augen beobachtet zu werden. Zu entdecken war allerdings nichts, auch wenn sie sich noch so sehr anstrengte.
Mehrere Türen standen zur Auswahl. Karl ging auf eine zu. Die führte in ein Haus, das mehr einen barackenähnlichen Anblick bot und ein schiefes Dach hatte.
Karl ging vor. Im Flur roch es nicht so stark. Aber neutral war es auch nicht. Licht gab es, nur verteilte die Lampe einen trüben Schimmer, das war alles.
»Wohin müssen wir?«
»Wir können unten bleiben.«
»Gut. Und der Tote ist noch in der Wohnung?«
»Ja, der Verbrannte.«
»Okay, dann geh mal vor.«
Sie mussten bis zum anderen Ende des Hauses. Es war die letzte Tür. Wie alle anderen war auch sie in einem grellen Grün gestrichen und natürlich verschlossen.
Unterwegs hatte sich Karl in der Gewalt gehabt, das war jetzt vorbei. Seine Hände zitterten und er hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten.
»Du wirst ihn nicht mehr erkennen, Karina.«
»Das denke ich auch.«
»Das Feuer war zu schlimm.«
»Und kannst du dir
Weitere Kostenlose Bücher