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18 - Orangen und Datteln

18 - Orangen und Datteln

Titel: 18 - Orangen und Datteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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den Türvorhang fallen. Draußen waren Stimmen und die Schritte der sich Entfernenden zu hören. Ich schnitt ein Loch in die rechte, Halef in die linke Zeltwand. Durch diese Löcher blickend, sahen wir, daß die Anezeh sich zwar zurückgezogen hatten, doch nicht so weit, wie es von mir bestimmt worden war. Da steckten wir die Läufe unserer Gewehre hinaus, und sofort begann ein allgemeiner Rückzug; der Scheik retirierte mit. Es war eine Lust für uns. Diese Anezeh hatten die so vielfach übertriebenen Gerüchte von meinem Repetiergewehr gehört und es noch nie mit einem mutigen Europäer zu tun gehabt. Jetzt rissen sie aus. Wir hätten ganz gut fliehen können, denn sich uns gefährlich zu nahen, wagten sie sicher nicht, und ihre sehr langen, aber auch schlechten Schießhölzer brauchten wir nicht zu fürchten, aber ich wollte mir als Christ und Nemsi, als Deutscher, nicht nachsagen lassen, daß ich vor diesen Söhnen Mohammeds davongelaufen sei. Wir wußten gewiß, daß um Mittag unsere Haddedihn von allen Seiten kommen würden, das Lager einzuschließen.
    Dem Parsi war es himmelangst um seinen Vater, doch beruhigte ich ihn. Wie die Verhältnisse jetzt lagen, tat dem Gefangenen sicher niemand etwas zuleide. Wir sahen, daß große Beratung gehalten wurde.
    Das war am Tag vor dem heiligen Weihnachtsabend, doch vormittags. Kurz nach Mittag gab es draußen plötzlich ein Rennen und lautes Rufen. Wir sahen durch die Löcher; die Haddedihn kamen von allen Seiten. Sie hatten schon weit draußen, wo sie nicht gesehen werden konnten, einen Kreis um das Lager gebildet, und zogen denselben enger, indem sie sich näherten. Jetzt war die Zeit gekommen, Blutvergießen zu verhüten. Ich nahm mein Gewehr, schlug den Zeltvorhang zurück und trat hinaus. Der Scheik stand lebhaft gestikulierend bei den Seinen. Ich rief ihn zu mir. Er kam eiligst näher und fragte schon von weitem: „Kara Ben Nemsi, weißt du, wer diese vielen Reiter sind?“
    „Ja. Es sind sechshundert Haddedihn mit ebenso vielen guten Gewehren. Sie kommen, den Raub, welchen ihr an ihren Herden begangen habt, an euch zu rächen. Ihr seid von ihnen eingeschlossen und könnt nicht fliehen. Und uns, die wir ihre Verbündeten sind, habt ihr mitten unter euch. Wenn du sie nicht um Gnade bittest, schlagen in fünf Minuten vielmal sechshundert Kugeln in die Scharen eurer Weiber und Kinder. Aber ich will mich eurer annehmen, und einen Boten zu Amad el Ghandur senden, daß er den Angriff verschiebt. Dann kannst du mit ihm unterhandeln.“
    „Warte noch!“ antwortete er knirschend.
    Darauf eilte er fort, um seine Ältesten kurz um Rat zu fragen. Der Kreis zog sich aber so schnell und bedrohlich zusammen, und es war so klar, daß ein Widerstand vergeblich sein würde, daß er mir zurief:
    „Schick den Boten; mach schnell!“
    Halef war bereits instruiert; er nahm sein Gewehr und eilte fort, natürlich von keinem Anezeh angehalten. Ich blieb am Zelt stehen, um den Erfolg abzuwarten. Tiefe Stille herrschte ringsumher. Da erklang droben auf dem Felsen der helle Ton eines Glöckchens; gleich darauf sah ich einen Knaben aus der Hütte kommen und den steilen Pfad ersteigen. Er verschwand droben in der Höhe und kam ohne langes Verweilen wieder herab, um zum Scheik zu gehen. Ich winkte beide zu mir und fragte:
    „Was will der heilige Mann?“
    „Er will wissen, welcher Kampf und warum er hier stattfinden soll“, antwortete der Scheik.
    „Er soll es von mir erfahren. Kannst du lesen?“
    „Ja.“
    „So warte!“
    Ich setzte mich nieder; riß ein Blatt aus meinem Notizbuch und schrieb die Antwort kurz und doch ausführlich mit Bleistift nieder. Als der Scheik sie gelesen hatte, mußte der Knabe das Blatt und den Bleistift zur Höhe tragen. Jetzt mußte es sich zeigen, ob der berühmte Mann wenigstens schreiben konnte. Ich hatte mit Kara Ben Nemsi unterzeichnet. Die Haddedihn standen fast in Schußweite, waren aber halten geblieben, weil sie das Glöcklein gehört und den Boten des Einsiedlers gesehen hatten. Dieser blieb jetzt länger aus als vorhin; dann brachte er das Blatt herunter. Unter meinen Zeilen stand zu meinem größten Erstaunen, natürlich in arabischer Sprache:
    „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen, welche guten Willens sind!“
    Die Worte des Lobgesanges der Engel! Am heutigen Tag! Von diesem unter den Mohammedanern berühmten Einsiedler! Er mußte ein Christ sein, unbedingt ein Christ! Ich gab dem Scheik die Worte zu lesen; er ahnte

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