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18 - Orangen und Datteln

18 - Orangen und Datteln

Titel: 18 - Orangen und Datteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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bilden schien. Man konnte zu keiner Seite abweichen, denn links fiel das Terrain so steil ab, und rechts stieg es so hoch an, daß es nicht zu passieren war. Die Öffnung aber, welche ich Tor nannte, war mit einem starken Dorngeflecht verschlossen. Ich fragte mit lauter Stimme, ob jemand dahinter sei, worauf eine tiefe, kräftige Baßstimme von innen antwortete:
    „Es ist jemand da. Wer seid ihr?“
    „Wir sind Fremde, welche von Rewandis kommen.“
    „Wohin wollt ihr?“
    „Über die Grenze.“
    „Wes Glaubens seid ihr? Sunniten oder Schiiten?“
    „Ich bin ein Christ; meine Begleiter aber sind sunnitische Moslemim. Können wir für diese Nacht eure Gäste sein?“
    „Ich werde öffnen. Bindet draußen eure Pferde an!“
    Die Dornentür wurde entfernt, und es erschien ein Mann von so riesigen Körperformen, wie ich wohl noch nie einen gesehen hatte. Er war bedeutend höher und breiter als ich und trug auf seinem unbedeckten, sonst kahlgeschorenen Kopf nur ein langes, dünnes Temeli (Haarbüschel), welches hinten bis auf den Rücken niederfiel. Seine sehr weite Hose war schwarz und rot gestreift und oben und unten mit Riemen zugebunden. Die nackten Füße hatten fast noch größere Dimensionen als die gewaltigen Hände, um welche ihn ein irischer Vollmatrose beneidet hätte. Um die Schultern hing ein Lederkragen, welcher in lange Streifen geschnitten war, so daß sein rauhbehaarter Oberkörper ebenso wie die nackten, auffallend stark muskulierten Arme zu sehen waren. Er hielt ein Messer in der Hand, mit welchem er wohl eben beschäftigt gewesen war. Er musterte uns mit einem beinahe finsteren Blick und sagte dann:
    „Kommt herein, und wartet hier! Ich werde dem Malkhoe-gund (Dorfältesten) eure Ankunft melden.“
    Er verschwand im Hintergrund durch eine zweite Dornentür, welche er von draußen wieder vorschob, und wir traten ein, die Pferde natürlich im Freien lassend. Wir befanden uns in einem unregelmäßig viereckigen Raum, welcher wohl zwanzig Personen bequem fassen konnte und dessen vier Wände mit eben solchem Dorngeflecht bekleidet waren. Warum dieses stachelige Zeug? Das sollten wir bald erfahren. Als Stühle oder Schemel lagen mehrere große Steine da. Wir setzten uns. Sonst war ringsum nichts zu sehen als ein Lanzenschaft, an welchem der Kurde bei unserem Kommen geschnitzt zu haben schien.
    Eigentlich hatte ich große Lust, die Örtlichkeit in altgewohnter Vorsicht genau zu untersuchen, doch hielt mich eben dieselbe Vorsicht davon ab; wir konnten Beobachter haben, und ich wollte dieselben nicht durch ein Zeichen des Mißtrauens gegen uns aufbringen. Eines aber tat ich, um auf alle Fälle gerüstet zu sein: Ich füllte, um die abgeschossenen Kugeln zu ergänzen, das Magazin meines Henrystutzens mit neuen Patronen.
    Eben war ich damit fertig, als die Hintertür wieder geöffnet wurde und der Kurde mit einem Mann eintrat, den er als den Malkhoe-gund bezeichnete. Dieser war ein verwegen und zugleich verschmitzt aussehender Mann mittlerer Größe. Auch er trug einen riesigen Turban; sein Körper wurde von einem türkischen Anzug, der aber aus rot und gelb gemustertem Zeug gefertigt war, umhüllt. Im Gürtel hatte er ein Messer und eine Pistole stecken. Im Besitz der letzteren Waffe befinden sich bei den Kurden meist nur die Häuptlinge. Er warf einen forschenden und, wie es mir schien, erzwungen freundlichen Blick auf uns und fragte mich dann:
    „Die beiden Männer sind Sunniten?“
    „Ja.“
    „Wir bekennen uns zur heiligen Schia und feiern den Tod Husseins, des Märtyrers. Du aber bist ein Christ und trägst doch das Hamaïl!“
    Hamaïl ist ein in Mekka geschriebener Koran, welchen die dort gewesenen Pilger, wenn sie wohlhabend genug waren, sich einen solchen kaufen zu können, als Andenken an ihre Wallfahrt am Hals tragen. Darum antwortete ich:
    „Ich habe ihn in Mekka gekauft.“
    Er warf mit darauf einen Blick zu, welchen ich nicht zu enträtseln vermochte, musterte mich abermals, und zwar eingehender als vorher, und trat dann vor den Eingang, um unsere Pferde anzusehen. Kaum war sein Auge auf mein Pferd gefallen, so leuchtete es freudig überrascht auf, und er rief aus:
    „Ja Hassan, ïa Hussein! Das ist ja ein Rappenhengst von reinstem Blut. Wie heißt er?“
    „Rih“, antwortete ich.
    „Rih? Von wem hast du ihn?“
    „Von Mohammed Emin, dem Scheik der Haddedihn vom Stamm der Schammar.“
    „Ich kenne die Haddedihn und alle ihre Schicksale. So bist du wohl der Christ, dem er dieses

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