18 - Orangen und Datteln
desselben um die Leiche versammelt hatten. Sie lag, in weiße Gewänder gehüllt, vor einer seichten, offenen Grube. Neben ihr standen die Verwandten, und die übrigen schlossen einen weiten Kreis um die Stätte. Die Frauen und Mädchen jammerten in schrillen, durchdringenden Tönen, die Männer aber standen schweigsam mit finstern, rachgierigen Blicken. Der Krumir war nicht zu sehen; er war so klug gewesen, sich unsichtbar zu machen.
Da ein Geistlicher nicht zugegen war, so hatte der Scheik die Stelle desselben zu vertreten. Er erhob die Hand, und sofort trat lautlose Stille ein. Er wandte sein Antlitz in die Kibla (Gesichtsrichtung nach Mekka, während des Gebetes) und begann: „Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Bei dem weisen Koran, du bist einer der Gesandten Gottes, um den richtigen Weg zu lehren. Es ist die Offenbarung des Allmächtigen und Allbarmherzigen, daß du ermahnest ein Volk, dessen Väter nicht gewarnt wurden und daher sorglos und leichtsinnig dahinlebten. Das Urteil ist bereits über sie gesprochen, daher sie nicht glauben können – – –“
Das war der Anfang der sechsunddreißigsten Sure, welche Mohammed ‚Quelb el Koran‘, d.i. Herz des Koran, genannt hat. Sie wird in der Stunde des Sterbens oder bei dem Begräbnis gebetet. Bei den Worten: „Ein Zeichen der Auferstehung sei ihnen die tote Erde, die der Regen neu belebt“, wurde die Leiche in die Grube gelegt, mit dem Gesicht nach Mekka gerichtet. Bei den Worten: „Die Posaune wird ertönen, und siehe, sie steigen aus ihren Gräbern. Das ist es, was uns der Allbarmherzige verheißen hat. Nur ein einziger Posaunenschall, und siehe, sie sind allesamt vor uns versammelt –“ wurde die Erde auf den Toten geworfen. Während dieser Arbeit betete der Scheik die Sure bis zu Ende. Nun lagen Steine bereit, von denen über dem Grab ein Hügel errichtet wurde. Dann betete der Scheik noch die fünfundsiebzigste Sure, die ‚Sure der Auferstehung‘, und schloß die Leichenfeier mit dem mohammedanischen Glaubensbekenntnis: „Es ist kein Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet!“ Jetzt erhob sich das Jammern und Wehklagen von neuem. Die Frauen schritten um das Grab herum, und auch die wehrhaften Männer traten einzeln nach der Reihe herzu, um ihre Messer und Dolche in den Boden zu stoßen zum Zeichen, daß der Tod ihres Waffenbruders gerächt werden solle. Wäre der Krumir dabei zugegen gewesen, ich glaube, daß es ihm schwer geworden wäre, seine stolze, zuversichtliche Haltung zu bewahren. Er lag, als wir in das Zelt des Scheiks wieder eintraten, dort auf dem Serir. Er hatte mit vollem Recht geglaubt, an diesem Ort sich am sichersten zu befinden. Trotz seiner nichts weniger als angenehmen Situation befleißigte er sich eines keineswegs rücksichtsvollen Betragens gegen uns. Er blieb lang ausgestreckt liegen und schien uns gar nicht zu bemerken. Mir und Krüger-Bei war das gleich, da wir wenig Raum brauchten, um uns in orientalischer Stellung niederzuhocken. Sir David Percy aber war diese Stellung, welcher der Orientale Rahat otturmak (Ruhe der Glieder) nennt, nicht gewohnt. „Tue deine Beine weg, Master Spitzbube!“ meinte er, leider aber nur in englischer Sprache, aber mit einer Geste, welche der Krumir unbedingt verstehen mußte.
Dennoch bewegte Saadis el Chabir nicht die Fußspitze, um dem Engländer Platz zu machen.
„Well! Wenn du nicht willst, so magst du Schlitten fahren!“
Er faßte den Krumir bei den Füßen und schleuderte ihn mit einem raschen Schwung vom Serir hinweg bis an den Eingang des Zeltes. Aber im Nu hatte sich der auf diese Weise Attackierte aufgerafft, um sich auf ihn zu stürzen. Sir Percy war ein gewandter Boxer. Er empfing den auf ihn Eindringenden mit einem Faustschlag auf das Gesicht, der ihm für den Augenblick die Besinnung raubte, und im nächsten Moment flog der Krumir zum Zelt hinaus.
Das war alles so schnell geschehen, daß es mir unmöglich gewesen wäre, es zu verhindern. Percy nahm auf dem Serir Platz, ich aber griff zum Messer, um ihm beizustehen, denn ich erwartete, daß Saadis el Chabir sich eine Waffe suchen und dann wieder eindringen werde. Ein Schlag ist für einen Beduinen die größte Beleidigung, welche es nur geben kann; sie ist nur mit Blut abzuwaschen.
„Was habt Ihr getan, Sir?“ fragte ich. „Es wird Euch an das Leben gehen!“
Er zog ruhig eine seiner Pistolen hervor, spannte die Hähne und antwortete sehr gelassen: „An das Leben! Gut, so werde ich ihn vorher ein
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