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18

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Titel: 18 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Luengen
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hieß.
    Ich fuhr durch die Straßen Richtung Onkel Hank. Wir hatten uns für den Nachmittag zum Schwimmen unten am See verabredet. Man kann kaum erklären, warum ihn alle Onkel Hank nannten. Wenn man ihn einmal gesehen hatte, wusste man es sofort. Er war kräftig und strahlte die Selbstsicherheit eines guten Onkels aus, der mit den kleinen Kindern am Sonntagnachmittag die Modelleisenbahn aufbaut.
    Er wohnte genauso wie ich mit seinen Eltern in einer von diesen neuen Siedlungen, die aus allen Städten in alle vier Himmelsrichtungen in die grünen Wiesen hinausbrechen. Es waren schöne, weiße Kataloghäuser mit Doppelverglasung und Holzbalkonen und gepflasterten Garagenzufahrten. Und die Leute stellten blau lackierte Holzbänke vor die Hauswände in die Sonne, doch meist saßen sie nicht darauf. Alles sah wunderbar neu aus, die Dächer leuchteten rot in der Sonne, und kleine Kinder lernten problemlos Fahrrad fahren auf den breiten glatten vertrauenerweckenden Straßen, auf denen ich meinen Wagen einfach und bequem am Rand parken konnte und die Autotür lässig hinter mir zuwerfen durfte. Es war für mich damals unvorstellbar, dass diese Siedlungen überhaupt jemals verwittern könnten, dass dort jemand unglücklich oder krank werden könnte, und wahrscheinlich wurde auch nie jemand krank, und nie war jemand unglücklich. Sie gaben mir Energie und Glück, diese Siedlungen.
    Meine Eltern schafften vor fünf Jahren den Sprung dorthin, und damals empfand ich eine tiefe Zufriedenheit und Sorglosigkeit, wenn ich draußen Hot-Skater fahren oder Rasen mähen konnte. Ich verstand mich prächtig mit meinen Eltern, wir waren eine angenehme Familie, die in jeder Margarine-Reklame eine gute Figur gemacht hätte, und wahrscheinlich sind wir das auch immer geblieben, auch als ich älter wurde und einige Dinge anders zu sehen begann.
    Onkel Hanks Vater bekam vor vier Jahren einen vielversprechenden Job und sie haben sich auch in das Viertel eingekauft. Eigentlich war es egal, in welcher der neuen Siedlungen jemand wohnte. Alle hatten sie breite Straßen.
    Ich hielt vor Onkel Hanks Haus, sah sein Auto dort parken und hupte kurz. Er trat aus der Haustür, schlappte in Adiletten und kurzer Hose über die Fahrbahn zu mir herüber und stieg ein. Sein Bündel warf er nach hinten auf die Rückbank. Ich fuhr los, rollte die Straße hoch, bog langsam um die Kurven, beschleunigte gemächlich zur Promenade. Die Promenade war unsere Hauptstraße mit den Cafés. Jeder nannte sie Promenade. Es war ein angenehmes Gefühl, langsam die Straßen entlangzurollen, sachte den Griff des Automatikgetriebes in der rechten Hand zu spüren und die Kraft, die in dem großen Kombi steckte. Seit ich sechszehn war, hatte ich mich durch einen Haufen Ferienjobs gequält, um mir den Wagen sofort nach dem achtzehnten Geburtstag leisten zu können. Der Nachteil war, dass alle möglichen Leute einen ansprachen, wenn sie etwas transportieren wollten. Wir bogen auf die Schnellstraße, fuhren eine Zeit gedankenverloren geradeaus und erreichten den See. Wir mussten einen Sandweg durch einige Dünen bis an den Strand entlangholpern.
    Onkel Hank sprang aus dem Wagen und schleuderte die Adiletten weg, riss die Arme hoch und schrie etwas wie „Ik kan dansen!“ und machte aus dem Stand einen Salto. Er fiel vornüber, lachte und rannte barfuß zum Wasser, rannte zurück und zog sich Hose und T-Shirt aus. Ich stieg langsam aus dem Wagen. Es war gerade Mode, in der Schule den Grundkurs Holländisch zu belegen.
    „Wir sind heute alle emotional, beste vriend“, keuchte Onkel Hank unter seinem T-Shirt und stand schließlich in Badehose da.
    „Ja, das sieht so aus“, sagte ich.
    Er lachte und rannte wieder zum Wasser, lief weiter, es spritzte auf, er schrie etwas wie: „Koud water!“ und versank in den kleinen Wellen, tauchte wieder auf, und schwamm mit kräftigen Stößen hinaus.
    Ich setzte mich auf die Motorhaube und stellte die Füße auf die Stoßstange. Eine Person kam den Sandweg von der Stadt herunter geschlendert und wirbelte bei jedem Schritt etwas Sand auf. Ich erkannte sie sofort. Nun ist es natürlich nichts Ungewöhnliches, wenn sich zwei Menschen an einem leeren Strand begegnen, selbst dann nicht, wenn sie sich eine halbe Stunde vorher auf der Promenade gesehen haben, doch das zählt alles nicht, wenn sie gezwungen sind, in ganz geringem Abstand aneinander vorbeizugehen, und man sich diese Situation bereits zwanzig Schritte vorher ausmalen kann und wenn man

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