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sagte ich, ohne mich zu bewegen.
Sie seufzte leise, zumindest glaubte ich, einen leisen Seufzer gehört zu haben. Dieses Geseufze machte es wahrhaftig nicht einfacher. Es war anscheinend der Moment gekommen, wo sich Einiges entschied, und am schlimmsten ist es, wenn man genau weiß, dass dies der entscheidende Moment ist, und trotzdem nicht dagegen ankann. Ich konnte mich unmöglich zu ihr hinüberbeugen. Ich sah auch keinen direkten Sinn darin sie zu küssen. Ich war müde und hatte einen schlechten Bieratem. Vielleicht seufzte sie immer vor dem Einschlafen. Die tiefe Sehnsucht nach der Arbeiterklasse. Die Geradlinigkeit, Backsteinhäuser. Um fünf zu Hause. Bierflaschen auf der Balkonbrüstung. Danach das Schlafzimmer ohne Seufzen.
Ich spürte, dass sie ihren Kopf drehte und mich ansah.
Ich drehte ebenfalls meinen Kopf. Ihr Gesicht war ganz nah, ihre Wimpern, ihre dunklen Augenbrauen, ihre Pupillen. Ihre langen blonden Haare. Ich rückte etwas weg.
„Was ist?“, fragte sie unbewegt.
„Ich kann nicht reden“, sagte ich.
„Warum hast du mich nicht geküsst?“
Ich gab ihr einen vorsichtigen Kuss auf die Stirn, dann einen noch vorsichtigeren auf den Mund, auf ihre Lippen.
„Du schmeckst nach Salz“, log sie, immer noch unbewegt.
„Kann sein.“
„Du bist anständig.“
„Was ist daran falsch?“
„Zu anständig?“
„Was sollte ich denn Unanständiges machen?“
„Hast du Angst?“
„Nein“, sagte ich. „Es ist die tiefe Sehnsucht nach der Arbeiterklasse, nicht wahr. Die Einfachheit, Balkonbrüstungen. Um fünf zu Hause. Und kein ...“
„Du weichst immer aus. Was hast du erwartet?“, fragte sie. Eine weitere meiner Theorien sagt aus, dass man gegen Frauen keine Diskussion gewinnen kann. Ich hatte das unangenehme Gefühl, dass sie eine bedeutend unkompliziertere Antwort auf ihre Frage hatte als ich. Keine gewagtere oder erwachsenere Antwort, aber eine unkompliziertere und das ist wohl das einzige, was nachts in einem Auto an einem See zählt. Ich hielt meine Arme hinter dem Kopf verschränkt.
„Was stellen wir morgen an?“, fragte sie, plötzlich von Heiterkeit gepackt.
„Morgen. Wir können in ein Café gehen, nicht weit die Straße hoch, dort gibt's auch Frühstück.“
„Gut. Das machen wir.“ Sie gähnte. „Ich bin auch müde.“
Sie richtete sich etwas auf, kam näher zu mir und legte ihren Kopf auf meine nackte Brust. Ihr Arm ruhte auf meinen Bauch. Ich legte meine beiden Arme um sie. Es war wunderschön.
Ich wachte früh auf. Vorsichtig stützte ich mich auf den Ellbogen auf. Mein Kopf schmerzte und dröhnte. Ann lag auf ihrer Seite und ihre blonden Haare lagen in großen Schleifen um ihren Kopf verteilt. Sie schien noch fest zu schlafen. Ich öffnete leise die Wagentür und ließ frische Morgenluft herein. Ich kletterte umständlich hinaus und streckte mich. Der Wind strich frisch um meinen nackten Oberkörper.
Ich ging die paar Schritte zum Rand des Parkplatzes, spürte das vertrocknete und spitze Gras unter meinen nackten Fußsohlen. Ich setzte mich auf den Boden und wartete auf die Sonne. Der See lag ruhig und grau und teilnahmslos dort. Die Sonne schob sich über den Horizont, erstaunlich schnell, erst milchig gelb, dann strahlend rot und weiß.
Es war wohl weder schlecht noch gut gelaufen. Es war höchstens ziemlich schnell gelaufen. Ich dachte darüber nach ob gute oder schlechte Gespräche in der Nacht zum Leben gehören oder zum Erwachsenwerden. Alles war überflüssig gewesen. Dass Ann mit mir gefahren war und wir die Nacht im Auto verbracht hatten, war völlig überflüssig gewesen. Es war gerade erst passiert, und ich wusste schon die Antwort.
Anns Gesicht erschien hinter der Scheibe, sie klopfte und ließ sich wieder nach hinten fallen. Ich stand auf und ging zum Wagen, beugte mich hinein. Sie lag dort in die Decken gedreht, die Haare zerzaust, schaute mich mit müden Augen an.
„Guten Morgen“, sagte sie und schloss die Augen wieder.
„Hey“, sagte ich und setzte mich zu ihr ins Auto, spielte mit ihren Haaren. „Hast du gut geschlafen?“
„Ich schlafe noch“, sagte sie langsam, doch sie erhob sich und strich die Haare zur Seite, wie nur Mädchen die Haare zur Seite streichen können. Ich schluckte.
Dann zog ich mir mein T-Shirt über und suchte meine Turnschuhe und fand ein Stück Seife und eine Doppelpackung Zahnbürsten im Handschuhfach. Das T-Shirt hatte noch einen Hauch ihres Dufts.
„So was hat man als Junggeselle immer
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