18
knutschend treffen. Die Toilette hatte blaues Licht wie in einem Raumschiff. Ich pinkelte und tastete mich wieder durch das Knutschzimmer. Als ich wieder das laute Lokal betrat, stand Ann an unserem Tisch. Ich lächelte und sagte: „Hallo.“ Und sie lächelte auch und sagte: „Hallo.“
Christoph sagte zu Ann: „Wir wussten, dass du kommst.“
Ann beugte sich zu Iris hinunter, und begann sofort intensiv mir ihr zu reden. Nicht mal beim Luftholen sah sie mich an. Ich setzte mich nach einigen Minuten wieder auf meinen Platz. Sie hatte wieder die Jeans und das rote T-Shirt an. Sie schien keine Garderobenfetischistin zu sein.
Onkel Hank beugte sich zu mir herüber. „Du kannst es auch sein lassen“, schlug er vor. Ich erwiderte: „Hinterm Vorhang waren sowieso schon alle Sessel besetzt.“ Ann unterhielt sich weiter ohne Pause mit Iris. Sie schienen eine Menge Erzählstoff zu haben, und Ann hielt sich beim Lachen die Hand vor den Mund wie ein kleines Mädchen. Sie war verdammt lebhaft.
Ich trank noch ein oder zwei Bier und stand auf. Ann drehte sich komischerweise sofort um. „Gehst du?“, fragte sie schnell.
„Nein, ich gehe noch etwas zu trinken holen. Was kann ich dir mitbringen?“
„Birnensaft, bitte, falls das geht.“
„Birnensaft“, wiederholte ich.
Ich schob mich nochmals durch die Menge, bog zum Knutschzimmer ab, wankte durch die immer noch vollzählig besetzten Sessel hindurch und trat in der Toilette vor den Spiegel. Ich wusch mir sorgfältig die Hände und betrachtete mich im Spiegel. Ich fuhr mir mit feuchten Händen durch die Haare. Ein Typ kam rein und schnitt Grimassen, als er mich vor dem Spiegel sah. Ich ging wieder raus durch das Knutschzimmer und weiter in die Kneipe. Ich holte drei Biergläser und ein Glas Orangensaft und bat die Bedienung, etwas Wodka hineinzukippen.
Ann hatte sich mittlerweile auf meinen Stuhl gesetzt und unterhielt sich lebhaft mit Onkel Hank. Sie wollte aufstehen, als sie mich sah, ich schüttelte den Kopf. Ich ging neben ihr in die Knie, und sie nahm den Orangensaft, und ich verteilte die Biergläser.
„Es gibt keinen Birnensaft. Nie haben sie Birnensaft“, sagte sie.
„Jammerschade“, antwortete ich.
„Du siehst müde aus.“
„In welcher Liga spielt ihr Volleyball?“, fragte ich und konzentrierte mich auf ihre Worte.
„Im Moment sind wir gar nicht so schlecht. Falls wir die nächsten zwei Spiele gewinnen, steigen wir auf.“
„Na, das wäre doch schön. A-Jugend Frauen“, sagte ich. Ich hatte wirklich keiner Ahnung von Volleyball. Ich beobachtete den Vorhang, ob vielleicht endlich zwei zerknitterte Gestalten das dunkle Zimmer verlassen würden.
„Du musst mal zu einem Spiel kommen und zuschauen.“ Es war gerade in Mode, alle flüchtigen Bekannten zu den eigenen Sportveranstaltungen einzuladen. Wenn man im Fisch war, lud man zu Sportveranstaltungen ein. Wenn man sich auf Sportveranstaltungen traf, lud man sich in den Fisch ein. „Machst Du auch irgendwelchen Sport?“, fragte sie.
„Schwimmen. Wir schwimmen.“ Ich sah sie an und überlegte, ob wir nicht genau das gleiche schon bei unserer Strandbegegnung gesagt hatten. Ich überlegte, dass ich etwas Unverständliches übers Schwimmen erzählen könnte, bevor sie mir etwas Unverständliches übers Volleyballspielen berichten würde. „Wusstest du, dass im ‚Herr der Ringe’ niemand auch nur einmal schwimmt?“, fragte ich.
„In dem Buch?“
„Dem Buch. Ich habe es gelesen. Es steckt mehr dahinter. Sie durchqueren die ganze Welt und keiner schwimmt. Sie setzen keinen Fuß ins Wasser. Sie benutzen Fässer.“
„Vielleicht können sie nicht schwimmen.“
„Sie können schwimmen. Alles ist wahr in dem Buch. Was hältst du von der Theorie, dass Tolkien von vergangenen Mächten gesteuert wurde? Seine Hand wurde gesteuert.“
„Du redest zumindest anders als meine bisherigen Freunde.“
„Ich habe es mir gerade ausgedacht. Es ist plausibel. Es ist nicht widerlegbar.“
„Es hört sich interessant an.“ Sie sah mich an wie einen vollständig Betrunkenen.
„Hast du auch eine Theorie zu dem Buch? Das Buch kann die Bibel verdrängen. In gewissem Sinne hat es die Bibel bereits verdrängt. Jeder sollte eine Theorie dazu haben.“
„Ann, es ist gleich halb elf!“, rief Iris dazwischen.
„Ach ja, danke.“ Ann stand auf. „Um halb elf muss ich weg.“
Ich erhob mich. Meine Beine schmerzten.
„Ich wollte jetzt auch gehen“, murmelte ich und suchte Geld in meinen
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