18
Taschen. Ann verabschiedete sich schon von den anderen. „Ciao zusammen“, sagte sie und zwängte sich durch die Menge. „Wij zullen ons zien!“ rief ich in die Gruppe, warf einige Münzen auf den Tisch und drängelte mich hinter Ann her. Draußen vor dem Ausgang wartete sie. Die nur noch gedämpfte Musik und die klare Nachtluft ließ alles plastisch erscheinen.
„Ich bringe dich nach Hause“, sagte ich und ging neben ihr her.
„Ich gehe nur zur Bushaltestelle.“
„Was machst du morgen Abend?“, fragte ich. „Ich lade dich ein. Wir kochen was. Kein Tolkien mehr, ok? Bei Tolkien kochen sie auch gar nicht. Sie reiten immerzu.“ Neben Volleyballspielen waren Kochabende die beliebteste Einladung. Man lud zum Kochen ein, wenn man nicht nochmals ins Fisch einladen wollte.
„Ist gut“, sagte sie rasch und ohne ihren Schritt zu verlangsamen. „Kann ich um acht bei dir sein?“
Ich gab ihr die Adresse. Wir standen an der Bushaltestelle. In den Häusern ringsum leuchtete gelbes Licht aus den Fenstern. Wir schwiegen, und als der Bus kam, sagte ich: „Ja.“ Ich wollte dem Ganzen einen positiv klingenden Abschluss geben. Sie stieg in den hell erleuchteten Bus und während der Bus wieder anfuhr, winkte sie mir zu und setzte sich unmittelbar hinter den Fahrer. Sie war weg. Keinen Kuss, stellte ich fest. Zu spät stellte ich das fest. Ich hatte sie nicht mal richtig umarmt. Immerhin war ihr Bruder nicht mitgekommen.
Am nächsten Morgen konnte ich mich an alles erinnern. Ich frühstückte mit meiner Mutter und fuhr zur Schule. Die Sonne schien, und es würde wieder warm werden. Ich kam etwas zu spät und setzte mich auf meinen Platz neben Christoph. Der Lehrer hieß Böckstiegel und erzählte etwas über Honigbienen. Ich fragte mich, wozu das nützlich war. Kein Mensch interessierte sich für Honigbienen. Vielleicht war das alles nur eine Parabel auf das Leben, so wie die Schule an sich eine Parabel auf das Leben war, und vielleicht wollte Böckstiegel etwas ganz anderes sagen, uns etwas ganz anderes beibringen als die wirren Bewegungen von Honigbienen, nur warum sagte er es nicht? Ich verstand nie, warum die Leute nicht sagten, was sie eigentlich sagen wollten.
Ein Stoß von Christoph ließ mich aufschrecken. Böckstiegel sah mich an, ich zuckte die Schultern, und er nahm jemand anderen dran. Ich fing wieder an zu träumen und dachte an das gute Wetter und an eine Wochenendtour. Ann, Onkel Hank, Iris. Als es zur Pause schellte, fragte Christoph mich nach den Hausaufgaben in Mathematik. Ich gab ihm ein volles Heft, das Monate alt war.
„Ich schreib es schnell ab“, sagte Christoph erfreut.
„Behalte es, ich bin krank.“
Er sah mich prüfend an. „Du hast es gut. So kurz nach dem Sommerferien schon wieder krank.“
Ich klopfte ihm auf die Schulter und schob mich an ihm vorbei.
„Hast Du eine Verabredung?“, fragte er.
„Ich habe grundsätzlich meine Verabredungen um elf Uhr vormittags. Das weisst du doch“, sagte ich und fügte hinzu: „Oder ich koche oder spiele Volleyball.“ Und ich verließ eilig den Raum.
„Danke für Mathe“, rief er mir hinterher. Ich stieg ins Auto und fuhr Richtung Heimat. An der Ampel kreuzte der Mathelehrer meinen Weg. Ich grüßte ihn lässig, er schaute verdutzt. Es hatte doch alles keinen Zweck.
Zuhause war niemand. Ich setzte mich auf die Terrasse und las eine Stunde willkürlich im ‚Herr der Ringe’. Niemand berührte auch nur das Wasser. Niemand kochte. Sie hatten auch keine Frauen dort. Ich ging in die Garage, nahm meinen Werkzeugkasten und schleppte ihn auf die Straße zum Granada. Ich prüfte den Ölstand und die Zündkerzen, den Luftfilter, spielte etwas am Leerlauf und am Zündzeitpunkt. Ich wusste vorher, dass alles in Ordnung war. Meine neue Theorie war, dass mit der Inspektion des Autos man selbst auch eine Inspektion bekam. Man fühlt sich freier hinterher. Ich setzte mich hinters Steuer und hörte eine Weile Radio.
Meine Eltern würden am Abend nicht anwesend sein. Sie besuchten Freunde. Ich ging auf mein Zimmer, las weiter, und meine Eltern kamen heim, und ich erzählte ihnen von Ann und sie bemühten sich, ihre Freude über eine mögliche Freundin zu unterdrücken. Das Wort Enkelkind fiel nicht, und sie schafften es, nicht mal Fragen zu stellen. Schließlich hatte auch mein Vater seine Krawatte gebunden und weg waren sie.
Ich beherrschte am Herd nur ‚Gefüllte Paprika’. Ich sah hinaus in den Garten und trank zwei Schluck Wein aus
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