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Kreis prangte. Ich griff die Fahne, Pat beschleunigte und wir schlingerten auf die Tür zu. Vor uns teilte sich der Vorhang.
Es muss mindestens so beeindruckend für die Zuschauer gewesen sein wie die Fahrt auf der Abschlussfeier. Pat trug einen flatternden Parka, auf dem ebenfalls ein mit grobem Pinsel gemaltes A prangte, umrandet von einem leuchtenden Kreis. Darunter hatte er seinen freien Oberkörper anzubieten. Die Fahne entrollte sich im Fahrtwind und war schön anzusehen. Wir umrundeten Alessandra, die ungerührt weiter ihre Rede über Kultur und Toleranz hielt und kein einziges Mal das Wort Tradition erwähnte. Wir konnten nochmals eine Runde drehen, ohne behelligt zu werden. Ich hörte deutlich, wie Pat den Text von Pretty Paracetamol vor sich hin sang. Den Kassettenrekorder hatte ich ihm noch ausreden können. Onkel Hank ließ uns nochmals durch den Vorhang und entschloss sich dann, die Doppeltür nach erfolgreichem Abschluss der Aktion lieber von außen zu schließen und aus der Aula zu verschwinden.
„Wir waren gut. Meinst du, ich hätte mit komplett freiem Oberkörper fahren sollen? Iggy Pooooooooop!“, schrie Pat über den Schulhof. Erst jetzt merkte ich, dass er vollständig betrunken war. Er stand, geschüttelt von Lachsalven, neben seinem Mofa. Er rollte die Fahne wieder ein, zog den Reißverschluss seines Parkas zu und grölte dabei ein irisches Volkslied. Onkel Hank kam zu uns. „Ihr seid völlig verrückt. Das kostet dich das Abitur“, sagte er zu mir.
„Das war der Durchbruch“, sagte Pat. „Letztes Mal waren wir nicht gut, und es hat Frank trotzdem das Abitur gekostet. Diesmal waren wir gut. In der ersten Reihe hätten sie gekreischt, wenn Alessandra nicht diese Rede gehalten hätte. Kosmische Energie, wir kamen vom anderen Stern. Die Idee mit der Ausländerrede war göttlich. Es war ein Gesamtkunstwerk.“
„Es war die Idee des Direktors.“
„Dann sag ihm das. Er wird dich bald einladen.“ Pat lachte unbändig und schwang sich wieder auf seine Kreidler.
„Uns“, sagte ich. „Er wird uns einladen.“
„Wenn ich noch mal helfen kann, dann sagt Bescheid. Habt ihr meine Eltern und meine Schwester im Publikum gesehen? Sie sind fast im Boden versunken. Ich habe sie überzeugt, dass nun hundert Jahre Revolution kommen werden.“ Er schüttelte sich vor Lachen und knatterte, laut Pretty Paracetamol grölend, über den dunklen Schulhof davon. Onkel Hank sah ihm nach: „Hätte ich das gewusst. Ein Irrer“, sagte er. „Wenn mich da drinnen jemand erkannt hat, ist mein Abitur auch flöten.“
Ich umrundete das Schulgebäude und betrat es wieder durch die Vorhalle. Niemand der Umherstehenden beachtete mich. Sie standen alle mit Biergläsern in der Hand dort und hatten gar nichts mitbekommen von den Vorgängen in der Aula. Ich stieg den Aufgang zur ersten Etage hinauf und kam auf die leere Galerie. Die abgedunkelte Aula lag unter mir. Alessandra hatte gerade ihre Rede beendet. Applaus brandete auf. Ich sah ihren wie zufällig zu mir hinauf schwenkenden Blick, und ich hielt meinen Daumen in die Höhe. Nach Alessandras Rede sprach ein hastig nach vorne geschobener Lehrer noch ein paar Worte anlässlich der überstandenen Störung. „Die Zeiten wiederholen sich“, sagte er. „Und wir leben in einer technik-begeisterten Welt.“ Die Leute lachten und ich konnte meine Eltern sehen, die ebenfalls lachten. Ich grinste und dankte ihnen im stillen. Der Lehrer hatte mein Abitur gerettet.
Dann wurde das Buffet als eröffnet erklärt, Musik setzte ein und es entstand ein Tumult durch die eilig aufstehenden Leute. Ich wartete auf Alessandra, die sich durch die Menge schob und bald die Treppe zur Galerie heraufkam. Sie umarmte mich und sagte: „Ihr wart großartig.“
„Wir sind zweimal um dich herum gefahren. Alle konnten die Fahne sehen“, sagte ich.
„Und Pats Brusthaare.“
„Du hast dich nicht unterbrechen lassen.“
Sie reichte mir eine Flasche Wein und einen Korkenzieher. Sie stellte zwei Gläser auf die Brüstung. Ich entkorkte die Flasche, füllte die Gläser zwei Finger breit und reichte ihr ein Glas. Unten sah ich Lehrer, die eine Traube von Eltern um sich gescharrt hatten, und die Eltern lauschten mit offenen Mündern den Worten der Propheten. Christoph und Daisy tätschelten sich auf einer Bank. Ich sah Wiebke, wie sie neben Frederick, der keinen Alkohol trank, stand, und ihr Blick suchend durch die Menge irrte. Alessandra folgte meinem Blick, richtete sich
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