180 - Die Enkel der Astronauten
quälend langsam. Es waren die letzten Minuten einer untergehenden Epoche der Erdgeschichte.
Irgendwann erhob sich Adam. »Es ist so weit!«, rief er.
Carlos setzte das Nachtglas an die Augen und spähte zum nördlichen Horizont. Ein rötlicher Schimmer glühte dort auf. Ein Rauschen näherte sich. Er schwenkte nach rechts. Eine dunkle Wolke verdeckte die Sterne: Vögel, die wild und lärmend durch die Luft flohen. Unter dem Vogelschwarm entdeckte er die Silhouetten von Kängurus. Panisch stoben sie in alle Richtungen davon.
Manche sprangen gegen Bäume und Felsbrocken. Einige blieben regungslos liegen. Andere rappelten sich wieder auf und taumelten wirr durcheinander. Das Krächzen, Jaulen und Pfeifen verschiedener Tiere schwoll zu einem ohrenbetäubenden Lärm an. Carlos spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten.
Die umstehenden Menschen jammerten und klammerten sich aneinander. Plötzlich war es totenstill.
Alle schauten nach oben. Am Firmament sahen sie einen Feuerball aufglühen. »Ein Trümmerstück«, flüsterte Carlos. Der Glutball wuchs und wuchs – und verformte sich zu einer Ellipse. Die Luft begann zu knistern. Wind kam auf. Sturmböen rissen den Sand nach oben und peitschten ihn in die panischen Gesichter der wimmernden Leute. Wie eine Feuerfaust brauste der glühende Kometensplitter über das Outback hinweg. Er spukte Feuer und glühende Steine. Schreiend flüchteten die Menschen in die »Rote Kröte«.
Im Schutze des Höhleneingangs von Red Toad sah Carlos nach draußen. Joan, Adam und die anderen Anangu standen reglos im beginnenden Feuersturm.
***
ISS, Orbit, 8. Februar 2012
Im Kommandostand der ISS herrschte angespannte Stille.
Commander Sean Bernstein schwebte hinter Marsha Hunts Sessel. Versteckt vor den Blicken der anderen lag seine Hand warm auf ihrer Schulter. Sie lauschten den Stimmen aus den Lautsprechern.
»Eagle 1 an Kontrollstation, kommen!«
»Kontrollstation hört. Over.«
»Acht MX-3-Raketen auf vorgesehenem Kurs. Over.«
»Verstanden. Over.«
Der Funkkontakt zwischen einem kleinen Geschwader der US Air Force und seinem Kommandeur auf der Bodenstation, einem gewissen Major Bellman. Die Stimme aus Eagle 1 gehörte einem Commander, der drei Stratosphärenjets befehligte, die von Berlin aus aufgestiegen war, um den Beschuss des Kometen zu beobachten. Er hieß Matthew Drax. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis sich seine Stimme wieder meldete.
»Eagle 1 an Bodenstation, kommen.«
»Bodenstation hört. Over.«
»Objekt getroffen…« Sean und Marsha hielten die Luft an. Acht mal sechs Nuklearsprengköpfe explodierten in diesen Sekunden auf dem Kometen. »… aber keine Wirkung«, sagte die Stimme aus dem Lautsprecher.
»Over.«
Totenstille plötzlich in der Kommandozentrale. Sean Bernstein spürte, wie sich Marshas Schultern unter seinen Händen hoben. Auch in den Boxen sekundenlanges Schweigen. Dann wieder Major Bellmanns Stimme, heiser und bedrückt: »Verstanden, Eagle 1. Viel Glück Ihnen und Ihrer Crew, Commander. Ende.«
»Danke, Major. Ihnen auch. Over and out.«
»Allmächtiger!« Marsha schlug die Hände vor das Gesicht.
Kurz darauf erschienen die ersten Ortungsbilder auf den Bildschirmen der ISS, und jeder konnte das Verhängnis mit eigenen Augen sehen: Eine große und einige kleinere Feuerfäuste rasten etwa 90.000 Kilometer über der Erdoberfläche auf den blauen Planeten zu. Die Nuklearsprengköpfe hatten den Kometen nicht zerstören können. Nur ein paar Dutzend kleinere Segmente hatten sie abgesprengt. Das machte die Sache eher noch schlimmer.
Die Leute in der Kommandozentrale schauten sich fassungslos an. Sie wollten nicht glauben, was sie da gehört hatten, und was sie auf den Monitoren sahen, schon gar nicht.
Sean Bernstein blickte zum Sichtfenster hinaus. Der blaue Planet schwebte unter ihnen. Noch sah man Küstenstreifen, Ozeanflächen, Flussläufe, Großstädte und Gebirgsreliefs dort unten.
»Er nähert sich mit unverminderter Geschwindigkeit der Erde«, sagte Louis Taurentbeque. »Voraussichtliches Einschlagsgebiet: Mittelasien.«
»Nein!«, schrie Dr. Ian Hong und vergrub das Gesicht in den Händen.
Marsha fühlte sich wie betäubt. Sie löste die Gurte, drehte sich um und klammerte sich an Sean. Seufzend vergrub sie ihr Gesicht in der Halsbeuge ihres Liebsten.
Auf dem Monitor beobachtete Sean, wie »Christopher-Floyd« in die Erdatmosphäre eindrang. Er blickte zum Sichtfenster – über der Sichel des Horizonts stülpte sich
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