1808 - Landung auf Lafayette
kleinen Bleibe tatsächlich gutging. Nachdem er anfangs zurückhaltend und schweigsam gewesen war, blühte er nun richtiggehend auf.
Lafayette war seine Heimat, nirgends konnte er sich wohler fühlen als mitten in der feuchtdampfenden Wildnis. Jemand wie Anja Shriver, die nicht hier geboren war, konnte das kaum verstehen.
*
Nachdem er sich geduscht und angezogen hatte, streckte Joseph Broussard jr. den Kopf zu dem einzigen Fenster seines Wohnzimmers hinaus, dessen Scheiben niemals eingesetzt worden waren.
„Peps!" rief er. „He, Pepe!"
Ein seltsamer Grunzlaut erklang, und gleich darauf hob sich ein mit schwarzer Wolle bedeckter Kopf.
Zwei dunkle Augen blinzelten Joseph verschlafen an.
„Du hast schon wieder draußen geschlafen!" sagte Joseph vorwurfsvoll. „Ich habe dir doch schon mindestens zehnmal gesagt, daß die Schaukel auf der Veranda kein Schlafplatz ist!"
„Drin ist’s mir zu heiß, und du weißt doch, daß ich keine Wände um mich herum mag", murmelte Pepe, streckte sich im Liegen und stand behäbig auf.
Er mochte vierundzwanzig Jahre alt sein, war 1,92 Meter groß, dünn und schlaksig. Sein schmales Gesicht wurde von einer langen, geraden Nase und zwei dunklen, stets ein wenig fragend blickenden Augen beherrscht.
„Draußen ist’s genauso heiß, und ich mag’s nun mal nicht, daß du dich einfach im Freien wie ein Tier zusammenrollst. Du bist kein Dschungelkind mehr, wie oft soll ich dir das denn noch sagen!" brummte der ehemalige Beausoleil.
Peps grinste ihn mit leicht vorstehenden Oberzähnen unschuldig an.
„Ja, Jop, ich hab’s mir ja auch gemerkt", versicherte er treuherzig. „Aber du schnarchst zum Steinerweichen, und das halt’ ich einfach nicht aus, außer hier draußen, wo die Nacht lauter ist."
Da mußte Joseph doch lachen. Er schob den Jungen auf die Naßzelle zu, die sich hinter einer jämmerlich quietschenden Tür neben dem Abteil befand, das man kühn als Küche bezeichnen mochte. Joseph hätte am liebsten alles ganz einfach und natürlich belassen, aber Anja Shriver hatte darauf bestanden, daß wenigstens auf die Hygiene geachtet wurde.
Anfangs hatte Joseph sich dagegen gesträubt, mit dem Argument, er sei schließlich auf Lafayette geboren und damit gegen alles resistent. Die Xeno-Biologin hatte dem heftig widersprochen und darauf hingewiesen, daß sie niemanden, der nicht sauber gewaschen und gekleidet sei, beschäftigen würde. Das letztere Argument saß, denn Joseph wollte seine Arbeit nicht verlieren. Also gab er nach, und daher bot der relativ moderne Hygieneraum einen krassen Gegensatz zu dem Rest der Einrichtung in der Hütte.
Joseph hatte sich einfach, aber gemütlich eingerichtet; man hatte das Gefühl, mitten in einem Baum in der freien Natur zu leben und trotzdem von einem gewissen Schutz umgeben zu sein. Dieser Schutz war natürlich nur moralischer Natur, denn die Eingangstür bestand aus einfachen Brettern und stand meist offen - unvorstellbar für die Wissenschaftler im Camp Mirage. Aber Joseph war nie von einem Tier angegriffen worden.
„Warum muß ich da schon wieder rein?" wollte Pepe wissen.
„Das mußt du täglich, wie du weißt, und manchmal gehst du freiwillig und manchmal nicht, und das geht mir langsam auf die Nerven", knurrte Joseph. „Anja Shriver ist die Chefin, und sie hat angeordnet, daß wir uns jeden Tag waschen und sauber anziehen müssen. Das habe ich dir genau erklärt, gleich am ersten Tag, als du aufgetaucht bist."
Der junge Lafayetter war im Mai 1285 im Camp erschienen und gleich geblieben. Woher und weshalb er gekommen war, hatte sich nie aufgeklärt. Pepe war geistig zurückgeblieben, er besaß den Verstand und das Gemüt eines Zehnjährigen. Anfangs hatte man versucht, etwas über seine Vergangenheit zu erfahren, aber Pepe gab niemals etwas preis, nicht einmal seinem besten Freund Joseph.
Joseph Broussard brachte Anja Shriver stets dann ins Spiel, wenn Pepe etwas tun sollte, das er nicht wollte. Er wußte, daß Pepe die Xeno-Biologin anbetete, sie war seine große und heimliche Liebe, und für sie würde er alles tun.
Als Pepe nach einiger Zeit wieder auf der Veranda erschien, wo Joseph auf ihn wartete, sah er recht manierlich aus. Er hatte es sogar geschafft, die widerspenstige Wolle auf seinem Kopf einigermaßen zu ordnen.
„Nun?" strahlte er.
Der ehemalige Beausoleil nickte anerkennend. „Jetzt können wir los."
„Müssen wir gleich ins Camp, oder gehen wir erst frühstücken?"
„Erst frühstücken.
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