1811 - Der Vogelmensch
vorsichtig.«
»Schon gut.«
Ich beugte mich nach vorn und drehte den Kopf. So hatte ich einen besseren Blickwinkel und erkannte, was sich draußen tat.
Etwas schwebte in der Luft auf das Haus zu.
Es war ein Riesenvogel oder der Vogelmensch!
***
Wir hatten ihn beide gesehen, und für mich war wichtig, dass ich nicht zu lange schaute, sondern mich zurückzog, um ein Versteck zu finden.
»Und?«
Maxine lachte knapp. »Er kommt tatsächlich.«
»Wohin willst du mit ihm gehen?«
»In den Wohnraum. Nicht hier in die Küche. Hier sieht alles nach einer zweiten Person aus.«
Ich befand mich schon auf dem Rückzug. »Okay, ich kann dir nicht sagen, wie ich mich verhalte. Jedenfalls wirst du mich nicht sehen, das kann ich versprechen.«
»Okay.«
Ich warf noch einen letzten Blick durch das Fenster und sah, dass der Vogelmensch zur Landung ansetzte. Er verlor schnell an Höhe und berührte bald mit seinen Füßen den Weg, der zum Haus führte.
Jetzt war für mich der Zeitpunkt gekommen, mich zurückzuziehen und die Küche zu verlassen. Ich ging schon nicht mehr normal, sondern hatte eine gebückte Haltung eingenommen. So huschte ich auch durch die Tür in den Flur.
Jetzt musste ich mich erst umschauen. Wo gab es die beste Möglichkeit für ein Versteck?
Es war einfach. In einem der anderen Zimmer. Ich stieß eine Tür auf, und befand mich in Maxines Bügelraum. Hier roch es so nach frischer Wäsche.
Da blieb ich.
Nur etwas änderte ich. Die Tür schloss ich nicht. Ich ließ einen Spalt breit offen, dass ich etwas hören konnte. Dann ließ ich alles auf mich zukommen …
***
Maxine Wells hatte überlegt, wie sie es anstellen sollte. Sollte sie die Tür öffnen, bevor er geklingelt hatte, oder sollte sie ihn erst noch schmoren lassen?
Am liebsten wäre ihr das schnelle Öffnen der Tür gewesen, aber das ließ sie bleiben. Er sollte ruhig merken, dass er nicht das Maß aller Dinge war.
Sie zog sich zurück und wartete im Flur. Von John Sinclair war nichts zu sehen. Das empfand sie als gut. Sie hoffte nur, dass er sich nah genug aufhielt.
Dann hatte der Vogelmensch die Tür erreicht und auch die Klingel gefunden. Der Klang schwebte durch das Haus.
Maxine blieb für einen Moment auf der Stelle stehen. Ihre rechte Hand wurde zur Faust, die sie für einige Momente gegen die Brust presste, sich dann einen innerlichen Ruck gab und ging.
Reiß dich zusammen!, schärfte sie sich ein. Mach dich nicht schwächer, aber auch nicht stärker, als du es bist. Dann wirst du es schaffen, ganz bestimmt sogar.
Die letzten Schritte.
Ein zweiter Klingelton wehte an ihr vorbei.
Sie kümmerte sich nicht darum.
Sekunden später zog sie die Tür auf – und starrte auf ihren Besucher, der wieder seine Maske trug und mit dumpfer Stimme fragte: »Kann ich reinkommen?«
Maxine zog die Tür weiter auf. »Komm rein.«
Er ging an ihr vorbei. Es machte ihm nichts aus, dass sie die Tür wieder schloss. Dann beeilte sie sich, ihn einzuholen. Sie huschte auf die Tür zum Wohnzimmer zu und drückte sie nach innen. »Wir können uns dort hinsetzen.«
»Ja, ich weiß.« Er tat noch nichts, sondern blickte ihr hinter der Maske hervor ins Gesicht.
»Du bist allein?«
Maxine schüttelte sich. Sie mochte den künstlichen Blick nicht und auch nicht die Frage.
»Ja, ich bin allein. Was soll die Frage?«
»Gut. Es wäre nur schlecht für dich, wenn du mich angelogen hättest. Dann nämlich hätte ich dich zerhackt.«
Maxine zuckte zusammen. Mit einer derartigen Drohung hatte sie nicht gerechnet, aber was konnte sie auch anderes von einer derartigen Kreatur erwarten?
»Zerhackt?«, fragte sie.
»Ja.«
»Und wie?«
Er lachte nur, fasste sie an der Schulter an und schob sie über die Schwelle.
Obwohl sich dieses komische Monstrum in ihrer Nähe befand, war Maxine auf irgendeine Art und Weise schon froh, dass sie ihn hatte in diesen Raum lenken können. John Sinclair hatte somit freie Bahn, und sie hoffte, dass er es auch ausnutzte.
Dennoch waren ihre Knie weich, als sie das geräumige Zimmer betrat. Es lag ihr auf der Zunge, nach Carlotta zu fragen, aber sie hielt sich zurück und bot ihrem Besucher sogar einen Platz an.
Er rückte sich einen Sessel so zurecht, dass er das Fenster und auch die Tür im Auge behalten konnte.
Maxine Wells wollte nicht stehen bleiben und setzte sich deshalb ebenfalls.
»Ja, das ist gut«, lobte er, »so haben wir es bequemer und können uns wunderbar unterhalten.«
Maxine wollte nicht zu lange warten
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