1811 - Der Vogelmensch
der Nähe der Tür stand, sondern relativ weit entfernt.
Aber er war weg, und nur das zählte. Maxine Wells hatte ihn noch bis zur Tür gebracht. Von dort war er wieder gestartet. Ich hatte ihn dabei durch ein Fenster beobachtet.
Und jetzt schaute ich Maxine Wells entgegen, die von der Tür zurückkehrte.
Sie war in den Flur getreten, aber sie ging wie eine Schlafwandlerin und schwankte mal nach rechts und dann wieder nach links.
Maxine brauchte Unterstützung, und so ging ich ihr entgegen, um sie in meine Arme zu schließen. Sie sagte zunächst nichts, und ich ließ sie auch erst zur Ruhe kommen, wobei ich mit beiden Händen über ihren Rücken und damit über die Wolle des hellblauen Pullovers strich.
Maxine hatte sich wieder gefangen. »Ich – ich – packe es nicht«, flüsterte sie.
»Wieso?«
»Das ist doch ein Traum gewesen – oder?«
»Nein.«
»Du hast alles gehört, was dieser Randy Scott sagte?«
»Ja, ich stand im Flur. Das ist der bessere Horchposten gewesen. Einfach super.«
»Und weiter?«
»Ich würde es positiv sehen.«
»Was?«, schnappte sie.
»Ja.«
»Das musst du mir erklären.«
»Da gibt es nicht viel zu sagen, Max. Wir müssen froh sein, dass wir Carlotta zurückbekommen. Ohne sie kann er hier nicht viel anrichten. Sie ist so etwas wie eine Versicherung für uns. Er will ohne sie nicht sein. Er will so existieren wie sie auch. Er hat sie lange genug gesucht und ist fündig geworden.«
Sie löste sich aus meiner Umarmung. Wieder hörte ich sie atmen. »Ich kann das alles nicht fassen, John. Soll meine Zukunft jetzt so aussehen, dass ich diese Mutation in meinem Haus verstecke?«
»Darauf läuft es hinaus.«
»Das glaube ich nicht. Das will ich auch nicht. Wie stellst du dir das denn vor? Ich wäre nie frei. Carlotta habe ich freiwillig zu mir genommen, aber noch einen Probanden, der mich zudem töten würde, das ist zu viel.«
»Kann ich verstehen.«
Sie schaute mich wütend an. »Dann stehst du auf meiner Seite und musst etwas tun.«
»Ja, Max. Und sei nicht so ungeduldig. Wir werden ihn schon aus dem Weg räumen. Zuerst aber werden wir auf all seine Bedingungen eingehen müssen.«
Maxine senkte den Kopf. »Ja, es kann sein, dass du in allem recht hast. Gebe ich nicht gern zu, ist aber so. Wichtig ist, dass wir Carlotta zurückbekommen.«
»Das wird auch so sein, denn er wird nicht ohne sie hier antanzen. Zudem bin ich froh, dass er mich nicht entdeckt hat.« Ich schaute mich um. »Und jetzt sollten wir uns auf seine Rückkehr vorbereiten.«
»Das denke ich auch. Aber wie?«
Ich lächelte. »Es ist ganz einfach. Du wirst dich wieder als ängstliche Person geben. Dass ich mich hier im Haus aufhalte, wird geheim bleiben.«
»Das ist okay.«
»Wunderbar, dann tu alles, was du auch getan hättest, wenn die Dinge in Ordnung gewesen wären.«
Sie lachte nur und schüttelte den Kopf. »Und was ist mit dir, John?«
»Was soll schon sein? Ich werde mich mal wieder verstecken. Das bin ich ja gewohnt …«
***
Die Fessel drückte schon gegen die dünne Haut des Fußknöchels, sodass sie anfing, rot zu werden und an einigen Stellen auch aufriss, und darüber ärgerte sich Carlotta.
Aber was sollte sie machen?
Nichts.
Sie war angekettet, sie kam aus eigener Kraft nicht los, und deshalb musste sie warten und darauf hoffen, dass Randy Scott zurückkehrte.
Noch ließ er sich nicht blicken. Das Vogelmädchen wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, seit sie allein hier hockte, aber es konnte sich schon um Stunden handeln. Zwei mindestens, und es hatte sich nichts weiter getan.
Ihre größte Abwechslung bestand darin, auf den Höhleneingang zu starren und zu warten, dass sich draußen etwas tat. Aber da passierte nichts.
Hin und wieder sah sie einen Schatten, aber das war kein Vogel, der sie interessierte. Nach wie vor wehte die kalte Luft in die Höhle am Berg hinein, und Carlotta wurde nicht davon verschont.
Sie wollte weg.
Sie wollte nach Hause, aber sie schaffte es nicht, sich von der Kette zu befreien.
Man hatte sie leider außer Gefecht gesetzt, und jetzt kam es darauf an, welche Botschaft dieser Scott mitbrachte. Er war zu Maxine Wells geflogen. Er musste mit ihr gesprochen haben, um ihr zu erklären, wie die Dinge standen.
Wie würde Maxine reagieren?
Sie konnte es nicht voraussagen, aber sie wusste auch, dass ihre Sicherheit immer an erster Stelle stand.
Und jetzt wartete sie.
Ihr Blick glitt hinaus.
Das Wetter hatte sich gehalten. Zwar lagen graue
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