1811 - Der Vogelmensch
gut leben. Da musst du dir keine Gedanken machen. Aber schön, dass du dir welche gemacht hast.«
»Das ist nicht sicher.«
Er kicherte. »Wie dem auch sei, wir sollten zu einer Einigung kommen. Deshalb bin ich ja hier.«
»Dann höre ich dir zu.«
»Sehr gut. Aber du musst verstehen, dass ich keine Kompromisse eingehen werde. Du bist diejenige, die Carlotta aufgenommen hat. Du hast ihr ein Zuhause gegeben, nach dem ich noch immer suche. Ich weiß nicht, wo ich hin soll, das heißt, ich wusste es nicht, denn jetzt weiß ich es ganz genau.«
»Ach ja? Wohin denn?«
Der Vogelmensch lächelte und starrte Maxine aus seinen kalten Augen an. Sie selbst sagte auch nichts, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass da etwas auf sie zukam.
Sie bekam noch keine Antwort auf ihre Frage. Dafür erklärte er ihr etwas, was sie wissen musste.
»Ich habe auch einen menschlichen Namen. Möchtest du ihn gern wissen?«
»Es ist mir im Prinzip egal. Aber wenn du willst, dann sage ihn mir.«
»Gut. Ich heiße Randy Scott.«
»Aha. Den Namen höre ich zum ersten Mal.«
»Das ist nicht tragisch. Du wirst dich daran gewöhnen müssen.«
»Meinst du?«
»Sicher. Ich habe das so beschlossen.«
»Und weiter?«
»Es gehört alles mir. Ja, alles, ab heute, und ich weiß, dass du gern lebst, ebenso wie Carlotta.«
»Was hat das mit dir zu tun?«
»Ich könnte auch anders handeln.«
»Und wie?«
Sie winkte mit beiden Armen ab.
»Bitte, nicht so«, zischte er. »Lassen wir die negativen Dinge weg. Jetzt noch mal von vorn. Ich bin aus einem bestimmten Grund gekommen.«
»Gut. Und wie heißt der?«
»Ich suche eine neue Heimat. Einen Unterschlupf, und jetzt habe ich ihn gefunden.«
Scott hatte nicht viel sagen müssen. Er musste auch nichts hinzufügen. Maxine hatte eine Ahnung, und diese Ahnung sprach sie auch aus.
»Doch nicht hier bei mir – oder?«
»Aber ja. Ich komme zu dir …«
***
Das waren die Überraschungen, wie sie kein Mensch wollte. Sie wusste auch nicht, wie sie reagieren sollte. Es hatte ihr die Sprache verschlagen.
Sie saß einfach da und schüttelte den Kopf. Dabei atmete sie laut ein.
»Nun?«
Sie schloss die Augen.
»Ist das nicht eine Überraschung?«
Maxine öffnete die Augen wieder. Ja, es war eine Überraschung. Eine sehr große sogar. Eine, mit der sie nie gerechnet hätte. Diese Gestalt wollte sich bei ihr einnisten, und sie wollte von ihr so geschützt werden wie auch Carlotta.
»Und wenn ich dagegen bin?«
»Wäre das nicht gut.«
»Warum nicht?«
»Dann würde ich erst dich töten und anschließend Carlotta. So einfach ist das.«
Maxine Wells sagte nichts. Aber in ihr kochte es, und sie hatte auch einen roten Kopf bekommen. Damit hatte sie nicht rechnen können, und jetzt war es tatsächlich an ihr, das Schicksal zu gestalten. Sie wollte nicht sterben und das Gleiche galt auch für Carlotta. Also musste sie sich etwas einfallen lassen.
Und sie musste vor allen Dingen eine gute Schauspielerin sein. Auf keinen Fall durfte sie sagen, was sie wirklich dachte, und sie dachte auch an ihren Freund John Sinclair. Dass er in der Nähe lauerte, würde sie nicht sagen. Dafür etwas anderes.
»Ich habe also richtig gehört, du willst hier wohnen. Ebenso wie Carlotta.«
»Ja.«
»Und warum das?«
»Weil du eine gewisse Sicherheit bietest.«
»Ach …«
»Tu nicht so. Ich habe dich lange genug beobachten können. Du hast es geschafft, dich wunderbar über Wasser zu halten. Niemand hat Verdacht geschöpft, wer Carlotta wirklich ist. Das kann man schon als unglaublich betrachten. Alle Achtung. Und so glaube ich, dass wir auch ganz gut zurechtkommen werden.«
»Wenn du hier wohnst?«
»Ja. Und jetzt sag nur nicht, dass du keinen Platz mehr hast. Dann würde ich …«
»Nein, nein, du brauchst dich nicht aufzuregen. Ich habe schon den nötigen Platz.«
»Hört sich gut an. Du bist also einverstanden?«
»Nur unter einer Bedingung.«
Er zischte die Antwort. »Du kannst hier keine Bedingungen stellen, verflucht.«
»Lass mich ausreden. Ich will, dass auch Carlotta wieder zu mir zurückkommt.«
Er lachte und breitete seine Arme aus. »Sicher, sie wird wieder zurückkehren.«
»Wann?«
»Sofort, wenn du willst.«
»Ja, das will ich. Sie soll heute noch bei mir erscheinen.«
»Und ich werde bei ihr sein.«
»Klar. Das ist dann euer Einzug – oder?«
»Du hast es erfasst, Maxine …«
***
Die Haustür wurde zugeschlagen, und dieses Geräusch erreichte selbst mich, obgleich ich nicht in
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