1812 - Camelot
Gespräch und kam zu ihr.
Er erklärte ihr: „Rudy, dein Dad, hatte eine Gefährtin, deine Mutter, die Marga hieß. Sie starb bei deiner Geburt. Mit ihren letzten Worten hat Marga ihre Tochter auf den Namen Dorothea getauft. Du heißt in Wirklichkeit Dorothea. Thea, wenn du willst."
„Warum darf ich nicht Marga heißen, wenn Dad es so will?"
Das konnte ihr Bully damals nicht richtig begreiflich machen. Erst als sie älter war, verrieten ihr Mila und Nadja die ganze Wahrheit.
Rudy hatte in ihr immer ihre Mutter gesehen, darum nannte er sie Marga. Aber er taufte seine Tochter nicht einfach um. Innerlich erklärte er seine Tochter nämlich für tot und gab sie als seine über alles geliebte Gefährtin aus.
Die Tatsache, daß sie noch ein kleines Mädchen war, war für ihn ohne Bedeutung. Er behandelte sie wie das kleine Mädchen, das sie war, aber er gab ihr den Namen der großen Liebe seines Lebens. Und doch hatte er sie einst mit Reginald Bull nach Port Arthur gehen lassen, wohl intuitiv spürend, daß sie nicht ganz der Mensch war, dem er sich mit Leib und Seele verschrieben hatte. Es mochte so ähnlich sein wie mit der Sehnsucht nach der vergangenen Epoche der Freifahrer, deren Ende er nicht akzeptieren mochte.
So ganz durchschaute Marga - oder Dorothea - die Spielregeln dieser geistigen Verwirrung jedoch erst, als sie erwachsen war.
Sie wehrte sich nicht dagegen, als Rudy sie weiterhin Marga nannte. Aber für alle anderen war sie von da an Dorothea.
6.
Die Fleischfresserin richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, als sie die Witterung der möglichen Beute aufnahm. Sie hielt die dornenbespickten Schlingarme verdeckt und entrollte ihr trompetenförmiges Maul zur vollen Pracht in schillernden Tönen von Rot.
Aber der Alptraum ihrer Kindheit hatte für Thea schon längst seine Schrecken verloren.
Der Anblick der Karnivore machte ihr nichts mehr aus.
Die Fleischfresserin konnte ihr zudem in keiner Weise gefährlich werden, weil der Energiezaun zwischen ihnen stand. An zwei verkohlten Fangarmen konnte man erkennen, daß die Karnivore bereits versucht hatte, den Zaun zu überwinden.
Die Karnivore hatte es irgendwie geschafft, sich mit ihren Wurzeln einen Weg durch das steinige Gelände zu bahnen, bis sie vor drei Wochen die Einsiedelei erreicht hatte. Seit damals beobachtete Thea sie.
Rudy hatte sie vernichten wollen, aber Thea hatte ihn gebeten, der Fleischfresserin nichts anzutun. Sie fürchtete sich nicht mehr vor ihr, sondern genoß ihre Schönheit.
Thea riß sich von dem Anblick los. Es wurde Zeit für sie.
„Dad, kann ich noch etwas für dich tun?"
Der Greis hob seinen knochigen Kopf. Der wirre Blick seiner wässerigen Augen irrte ruckartig durch die Gegend, ohne wirklich zu sehen, was um ihn war.
„Hüte dich vor den Drakisten, Marga", mahnte er. „Und ganz besonders vor diesem Pedrass Foch. Der hat es ganz faustdick hinter den Ohren. Er ist nicht ehrlich. Foch führt etwas im Schilde. Das spüre ich in den Knochen. Ich wundere mich nur, daß Roi Danton ihn nicht durchschaut."
„Ich bin’s, Thea, deine Tochter", sagte die junge Frau.
Sie wurde es nicht müde, den Alten zu korrigieren und mit der Realität zu konfrontieren.
Er aber schien sie überhaupt nicht zu hören, denn er behielt seinen beschwörenden Tonfall bei und fuhr unbeirrbar fort: „Der Absturz der Space-Jet, das war nie und nimmer ein Unfall. Ich tippe auf Sabotage der Drakisten.
Pedrass Foch wird immer dreister. Du kannst sagen, was du willst, Marga, das ging nicht mit rechten Dingen zu."
Die Meldung über das Unglück war vor wenigen Stunden in den Nachrichten gebracht worden. Rudy hatte sie gierig wie ein Schwamm aufgesogen. Nachrichtenhören war eine seiner Lieblingsbeschäftigungen.
Aber die Hoffnung, daß ihn das in die Wirklichkeit zurückholen konnte, erfüllte sich nicht. Er klaubte sich einfach jene Details heraus, die in das Bild seiner Eigenwelt paßten. So wie er den Absturz des Lotsen Kerom mit zwei Neuen als Werk von Pedrass Foch interpretierte.
Die Absturzstelle lag keine 30 Kilometer von hier entfernt, aber die zwei Menschen hatten von der Explosion nichts mitbekommen, weil eine Gebirgskette dazwischenlag.
„Dad, mach dich doch nicht selbst verrückt", versuchte sie ihn zu beruhigen. „Pedrass Foch hat längst keine Macht mehr. Er ist ..."
„Verrückt? Wer ist hier verrückt?" erregte sich Rudy. „Ich mag ein alter Knochen sein, aber meinen Verstand vermag ich immer noch zu gebrauchen.
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