1812 - Der wandelnde Tod
ich doch noch eine Chance, um einzugreifen. Möglich war schließlich alles.
Also verabschiedete ich mich bis zum nächsten Morgen, dann betrat ich meine Wohnung, hängte die Jacke auf und verzichtete auf ein Essen. Ich hätte mir eine Pizza kommen lassen können oder irgendwas anderes in dieser Richtung, aber das ließ ich bleiben. Ich hatte keinen Hunger. Ich wollte höchstens was trinken. Auch kein Bier, sondern was Gesundes.
Ich holte eine Flasche Wasser, pflanzte mich in den Sessel und streckte die Beine aus. Die Fernbedienung lag neben mir. Die Glotze konnte eingeschaltet werden, was ich nicht tat, weil ich mich von meinen Überlegungen nicht ablenken lassen wollte.
Es hätte auch keinen Sinn gehabt, denn etwas anderes geschah. Bei mir meldete sich das Telefon.
Ich holte den Apparat aus der Station und meldete mich mit einem knappen: »Ja …«
»John Sinclair?«
Eine Frauenstimme war es, die nach meinem Namen fragte.
»Wer will das wissen?«
»Ich – Maria Lecco.«
Meine Gedanken wirbelten plötzlich. In meinem Kopf entstand ein regelrechtes Durcheinander. Ich kannte die Anruferin nicht persönlich, aber der Name sagte mir etwas. Nicht der Vor-, sondern der Nachname.
Lecco!
Der Tote hieß Simon Lecco, ich hatte es hier offenbar mit seiner Frau oder Schwester zu tun.
»Ich bin John Sinclair.«
»O Gott.« Erst der Spruch, dann das Aufatmen. Danach die Antwort. »Das ist wunderbar. Ja, das ist es.«
»Schön, dass Sie sich freuen. Aber warum haben Sie mich angerufen?«
»Ich muss Sie sehen.«
»Aha. Und warum?«
»Es ist wichtig, bitte.«
Natürlich dachte ich an eine Falle.
»Warum sollte ich mich denn mit Ihnen treffen?«
»Es ist wichtig.«
»Das glaube ich Ihnen sogar. Darf ich denn erfahren, ob es etwas mit einem gewissen Simon Lecco zu tun hat?«
»Er ist mein Bruder. Oder war es. Ich weiß ja, dass er tot ist. Er hat es nicht gelassen, trotz aller Warnungen. Aber ich will, dass es noch nicht vorbei ist. Nein, er soll nicht umsonst gestorben sein. Nicht grundlos.«
»Okay, was haben Sie sich gedacht, Madam?«
»Wir müssen uns treffen.«
»Okay. Und wann?«
»So schnell wie möglich.«
»Hm …«
»Bitte, Mister Sinclair, es ist wichtig – auch für Sie. Das müssen Sie mir glauben.«
»Klar, ich glaube es Ihnen.« Der Verdacht, in eine Falle gelockt zu werden, hatte sich bei mir verflüchtigt. »Aber wo können wir uns treffen? Haben Sie eine Idee? Ich meine, Sie können auch zu mir nach Hause kommen. Das wäre kein Problem.«
»Das möchte ich nicht.«
»Gut, dann schlagen Sie etwas vor.«
»Ich kenne hier ein kleines Lokal. Mehr ein Treff für Insider.«
»Hört sich nicht schlecht an. Und wo?«
»Es ist ein Künstler-Café. Es heißt Pablo , dem Vornamen von Picasso entlehnt.«
»Oh, darüber habe ich gelesen. Es hat lange offen.«
»Genau. Und um diese Zeit ist es nicht so voll. Da sind viele Künstler noch beschäftigt.«
»Klar.
»Dann kommen Sie?«
»Ja, Sie können auf mich warten. Ich kann sogar zu Fuß gehen.«
»Das habe ich mir gedacht.«
»Bis gleich dann.«
»Danke …«
Das war natürlich was. Eine Spur, mit der ich nicht gerechnet hatte. Aber wie so oft im Leben hielten sich Glück und Pech die Waage. Diesmal stand ich auf der richtigen Seite, und ich hoffte, endlich eine Spur gefunden zu haben …
***
Das Pablo lag recht versteckt, und trotz der gelben Leuchtschrift über der Tür musste ich noch suchen, bis ich fast vor ihm stand. Das Wetter draußen war nicht dazu angetan, dass Menschen herumliefen, deshalb waren mir auf dem Weg hierher auch nur wenige Menschen begegnet.
Ich war gespannt, wie es im Lokal aussah. Ob es dort auch so leer war. Der Gast musste eine bunt bemalte Tür öffnen und konnte die Lokalität betreten.
Die Künstlerwelt war da.
Es gab sogar eine kleine Bühne. Die fiel mir zuerst auf. Man konnte sie auch als Podium bezeichnen. Egal wie, es war etwas, das es nicht überall gab.
An den Wänden hingen Plakate und auch Reproduktionen der Arbeiten berühmter Maler. Hier mussten sich die Künstler wohl fühlen, und wer kam, der konnte sich entweder an die Theke stellen oder auf nostalgischen Plüschstühlen oder Sesseln Platz nehmen, die an runden Tischen standen.
Die Bedienungen waren ausschließlich junge Frauen. Und die waren angezogen im Stil der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Sie trugen lange schwarze Hosen, dazu weiße Stiefel, hoch geschlossene Blusen und knallrote Hosenträger.
Ich blieb in der
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