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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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lieber Bruder! Sie sind Graf Wallersheim«, setzte sie leise deutsch hinzu.
    Wie überrascht und bestürzt Ludwig durch das seltsame Abenteuer war, so begriff er doch schnell genug so viel davon, daß er es hier in der Gewalt habe, dem reizenden Wesen, das ängstlich, mit Tränen in den Augen vor ihm stand, einen wichtigen Dienst zu leisten. Er ging daher, ohne sich zu bedenken, auf die List ein und entgegnete: »Beruhige dich, liebe Schwester, ich werde schon mit dem Herrn sprechen.« Hierauf wandte er sich zu dem Offizier, und um Zeit zu gewinnen und einigermaßen das Verhältnis kennen zu lernen, sagte er ihm: »Ich muß Sie schon bitten, mein Herr, mir Ihre Bedenklichkeiten gegen unsern Paß zu wiederholen; Sie wissen wohl, daß Damen in solchen Angelegenheiten zu unerfahren sind.« – »Von diesem Augenblick an,« entgegnete der Offizier, »habe ich nicht die mindesten Bedenklichkeiten mehr. Sie waren aber im Paß als der Begleiter Ihrer Gräfin Schwester genannt, jedoch nicht zugegen. Er mußte mir daher unrichtig scheinen. Zwar sagte mir die Gräfin sogleich, daß Sie sich nur auf kurze Zeit entfernt hätten, um einen romantischen Seitenweg zu Fuß zu machen, und daß Sie den Wagen jenseits der Stadt wieder treffen würden; allein unsere Befehle sind für die Grenzorte, wie Duomo d'Ossola, so streng, daß ich gezwungen gewesen sein würde, die junge Dame zu bitten, so lange hier zu verweilen, bis Sie, Herr Graf, als der eigentliche Inhaber des Passes sich eingestellt hätten. Seien Sie aber versichert, daß ich es für meine Pflicht gehalten haben würde, einen meiner Leute auf die Straße nach Sempione zu senden, um Sie von dem Hindernis zu benachrichtigen. Indessen muß ich Sie doch warnen, sich nicht wieder von der Seite der Komtesse zu entfernen, da die Befehle, soweit unsere Bezirke reichen, überall von der Art sind, daß Sie leicht eine neue, ähnliche Unannehmlichkeit erfahren würden. Sind Sie erst über die schweizerische Grenze, so hört unsere Autorität freilich auf, und Sie werden mit freier Bequemlichkeit reisen können.«
    Ludwig stand stumm vor Erstaunen, zumal da der alte Diener vom Bock abgestiegen war, ihm ohne Umstände die leichte Reisetasche, die ihm über die Schulter hing, abnahm, sie in den Wagen legte und ihn fragte, ob es ihm gefällig sei, einzusteigen. Verwirrt sagte er dem Offizier einige höfliche Worte und reichte ihm die Hand zum Abschiede. Der Diener schlug den Tritt des Wagens vollends herunter, der höfliche Franzose war der jungen Dame, die sich jetzt dicht in ihren grünen Schleier gehüllt hatte, beim Einsteigen behilflich, der Diener half Ludwig hinein, der Offizier verneigte sich tief, wiederholte sein bon voyage, Ludwig nahm, fast ohne zu wissen, was er tat, an der Seite seiner rätselhaften Unbekannten Platz – denn die Duenna hatte bescheiden den Rücksitz eingenommen –, und der Wagen rasselte dahin.

Zweites Kapitel.
    Solange man durch die Gassen des Städtchens fuhr und belebte Häuser am Wege standen, beobachtete die schöne Verschleierte das tiefste Schweigen, und den Versuch Ludwigs, sich durch eine Frage den Zusammenhang des höchst seltsamen Abenteuers, erklären zu lassen, lehnte sie durch einen stummen, ängstlichen Wink ab. Er blieb daher einige Minuten lang ganz seinen eigenen Vermutungen überlassen. In dieser Zeit fand er eine mögliche Auflösung des Rätsels, wenn auch nicht die wahre. Aller Wahrscheinlichkeit nach war seine Begleiterin eine Engländerin, vielleicht die Tochter eines Mannes von Bedeutung. Der neu ausbrechende Krieg hatte Haß und Wachsamkeit der Franzosen gegen die Einwohner dieses Landes verdoppelt; sie war daher mutmaßlich aus politischen Gründen genötigt, sich der List zu bedienen, um ein Land zu verlassen, das im Besitz der Feinde ihres Vaterlandes war, in dem man sie selbst vielleicht als Geisel betrachten und verhaften konnte. Ludwigs Herz schlug daher heftig vor Freude, daß die wunderbarsten Fügungen des Zufalls gerade ihn ersehen hatten, um einem Wesen, dessen süßer Reiz ihn so mächtig gerührt, ihn so lange in zarten, aber unzerreißbaren Fesseln gehalten hatte, diesen rettenden Dienst zu erweisen. Er richtete seinen Blick auf sie; sie saß sichtlich zitternd, beklemmt atmend neben ihm. Endlich verschwanden die letzten Häuser an der Seite des Weges, die Umgegend wurde einsam. Eine steil aufsteigende Strecke des Weges nötigte den Postillon, der aus dem Sattel fuhr, seinen raschen Trott in Schritt zu verwandeln,

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