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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Sie sich schuldig machen, sehr streng bestrafen.«
    »Das größeste aller Vergehen wäre das, hier feig zurückzutreten«, sprach Ludwig fest. »Ich weiß nicht,« setzte er bewegter hinzu, »ob es mich nicht noch glücklicher machen würde, für Sie zu leiden als für Sie zu wagen.«
    Bianka schwieg. Die Nacht senkte sich tiefer herab und umhüllte die Gegenstände mit einem grauen dämmernden Schleier. Die Straße wurde steiler; schon stiegen die grotesken, zackigen Felsen von beiden Seiten auf, während in der Tiefe die Veriola schäumend und donnernd dahinschoß. Das großartige Schauspiel würde einen mächtigen Eindruck auf die Reisenden gemacht haben, wenn die Stimmung ihrer Gemüter eine ruhigere, dem Genuß empfänglichere gewesen wäre. Bianka schien überdies durch die Reise und durch die Angst, die sie erduldet hatte, erschöpft. Sie lehnte sich in die Ecke des Wagens zurück und sank in leisen Schlummer. Ludwigs aufgestürmte Seele ließ keinen Schlaf in sein Auge dringen, wiewohl auch er durch die lange Wanderung zu Fuß körperlich ermattet war. Die schauerlichen Wunder der Straße, die er zurücklegte, steigerten zwar das unruhige Wogen in seiner Brust, doch spiegelten sich Felsen, Abgrund und Wassersturz in seinem Auge nur wie in einem bewegten See ab: unbestimmt, verwischt, schwankend. Oft nahm er auch fast so wenig von diesen Bildern in sein Bewußtsein auf wie ein abspiegelndes Gewässer. Meist staunte er sie träumerisch an, und erst, wenn sie längst vorüber waren, tauchten sie ihm als dunkle, unbestimmte Erinnerungen auf, worüber er wieder die Eindrücke der nächsten Gegenwart verlor. Seine Seele sah ja nur Biankas Bild; er stand entzückt vor der hehren, sanften Gestalt einer Madonna; wie mochte er seine Augen fesselnd auf die Landschaft im Hintergrunde des Heiligenbildes heften, so wunderreich sie sich auch ausbreitete!
    Es war dunkel, als sie über die erste schaurige, auf turmhohe Pfeiler gestützte Brücke rollten, unter welcher der Strom im tiefen Abgrund wie eine weiße Schlange dahinzischte. Bald danach erreichten sie eines der Posthäuser, wo die Pferde rasch gewechselt wurden. Bianka war in so festen Schlummer gesunken, daß sie auch dort nicht erwachte; es war, als ob ihre Seele dem neuen rettenden Freunde so fest vertraue, daß keine Unruhe, keine Sorge mehr sie quälte. Die Straße wurde immer wilder und schauerlicher, die Veriola schoß tosend im Abgrunde dahin; himmelhohe Felsmauern starrten schroff empor; nur wenige Sterne blinkten durch die schmale Spalte der tiefgeklüfteten Schlucht. Plötzlich bog sich der Weg scharf um, und Ludwigs erstauntes Auge sah ein weißes riesiges Gespenst vor sich, das furchtbar aufgerichtet an der schwarzen Felswand stand. Zugleich schlug ein dumpfer Donner an sein Ohr. Bianka erwachte von dem Getöse und rief erschreckt: »Gott! was ist das? Wo sind wir?«
    »Es ist der Wasserfall am Eingange der großen Galerie«, sprach der alte Diener, sich umwendend. Indem hielt der Wagen und ein heller Lichtstrahl aus erleuchteten Fenstern fiel hinein. Der Postillon klatschte mit der Peitsche. »Was bedeutet das,« fragte Bianka ängstlich, »sollten wir hier angehalten werden?« – »Hier ist, soviel ich weiß, die Grenze der Lombardei; jenseits der kleinen Brücke vor uns befinden wir uns schon in der Schweiz«, entgegnete Ludwig. – »Gott sei gedankt!« rief Bianka und schöpfte tief Atem. »Nur noch bis dorthin verlaß mich nicht, gütiger Himmel!« setzte sie leise hinzu und erhob das schöne Auge gegen die Sternennacht über ihr.
    Indem traten zwei in graue Mäntel gehüllte Gestalten an den Wagen, deren eine eine Laterne in der Hand trug; die hohen Helme mit Roßschweifen ließen französische Dragoner erkennen. »Votre passeport, Monsieur«, lautete die höfliche, aber kurze und entscheidende Frage.
    »Den Paß, lieber Bruder«, sprach Bianka und drückte ihre Hand leise gegen seinen Arm, um ihm ein Zeichen zu geben, daß er sich nicht vergessen möge.
    Ludwig zog das Papier aus der Brusttasche und reichte es hin. Sowenig hier eine Entdeckung zu fürchten war, so bewirkte das Bewußtsein seiner Lage doch, daß ihm der Puls rascher ging. Bei Tage würde ein aufmerksamer Beobachter die Unruhe in seinen Zügen bemerkt haben; er war an Abenteuer dieser Art nicht gewöhnt. Der Offizier ging mit dem Paß ins Haus; nach fünf Minuten kehrte er zurück und übergab ihn Ludwig mit den Worten: »Votre serviteur, Monsieur le comte!«
    »Vorwärts!« rief

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