1812 - Ein historischer Roman (German Edition)
Begleitung, den andern Wagen bestieg und an ihm vorüberfuhr. Sein Auge heftete sich an den grünen Schleier, den er jetzt im Winde flattern und ferner und ferner verschwinden sah. Lange stand er so, bis die letzte Spur der Wagen verschwunden, bis die Staubwolke, die sich hinter ihnen erhob, wieder gefallen war. Es war ihm, als habe er geträumt! – – Das holde Bild verließ ihn nicht mehr. In ganz Italien suchte er es auf; doch umsonst. Trat es auch vor der Fülle der reizenden Gegenstände, die sein begeisterter Sinn mit allem Feuer der Jugend in sich aufnahm, in den Hintergrund, immer leuchtete es doch wieder von Zeit zu Zeit hell auf, und die leisesten Anklänge ähnlicher Erscheinungen riefen es mit ganzer Lebhaftigkeit in seine Seele zurück.
Und jetzt, als er auf der Ausgangsschwelle des romantischen Landes stand wie damals an dessen Eingang, jetzt erblickte er plötzlich, unvermutet, dieses Wahrzeichen seines Glücks, seiner Hoffnungen aufs neue! Kaum war er daher jener Reisenden ansichtig geworden, als er mit hochklopfendem Herzen den Hügel hinabeilte, um die flüchtige Erscheinung rasch zu ergreifen, ehe sie ihm wieder entschwinden möchte. Doch der Wagen, der wie ein Pfeil dahinrollte, war vorüber, bevor er die Chaussee gewonnen hatte. Ludwigs Spannung wuchs mit der Gefahr, seinen Wunsch (es war wohl mehr als ein Wunsch) nicht erreicht zu sehen. Im Städtchen mußten die Pferde gewechselt werden; dieser Umstand gab ihm die Hoffnung, daß er den Wagen noch einholen werde, bevor er wieder abführe. Denn das Glück, mit dem holden Wesen (und wußte er es denn auch, ob sie es war?) unter einem Dache übernachten zu können, wagte er sich kaum vorzuspiegeln. Er beschleunigte seine Schritte mehr und mehr; jetzt hatte er den freien Platz dem Wachthause gegenüber, wo der Gasthof lag, erreicht. Er sah den Wagen vor der Tür stehen, aber schon führte man neue Pferde herbei, um sie vorzulegen. Ein großer Kreis von Neugierigen hatte sich um die Reisenden versammelt. Ein Offizier, der von der Wache herkam, teilte die Menge und ging, ein Papier in der Hand haltend, auf den Wagen zu: die junge Dame mit dem grünen Schleier stieg bei seiner Annäherung aus und trat ihm einige Schritte entgegen. Der Offizier verneigte sich und sprach mit ihr, zwar sehr höflich, doch schien sein Achselzucken anzudeuten, daß er ihren Wünschen nicht willfahren könne. Ludwig näherte sich jetzt den Umstehenden; da jedoch die junge Dame, die dem Bilde seiner Erinnerung immer ähnlicher erschien, sich der entgegengesetzten Seite zugekehrt hatte, er aber um alles einen Augenblick erhaschen wollte, wo er ihr ins Angesicht sehen könnte, so umging er den Kreis der Versammelten und teilte ihn, von derjenigen Seite nach dem Wagen zutretend, wohin sie gewendet stand. Himmel, sie war es selbst! Nur bleich und ängstlich schienen ihre Züge, und sogar eine Träne war in dem schönen blauen Auge sichtbar. Von einem unbezwinglichen Gefühl getrieben, schritt Ludwig auf sie zu; so auffallend es sein mochte, er wollte die holde Gestalt, die ihn eingeführt hatte in Italiens schöne Wunder, beim Ausgange wieder begrüßen, wollte sie an den rasch vorübergeflogenen Augenblick jenes ersten Begegnens erinnern. Sein Mut dazu wuchs, da er sie unbegleitet sah; denn außer einem alten Diener, der vorn auf dem Bocke saß, und jener ältlichen Frau im Wagen, die ebenfalls allem Anschein nach nur in einem dienenden Verhältnis zur Reisenden stand, war niemand zu sehen. Hastig trat er daher aus dem etwas zurückgezogenen Kreise der Menge hervor. Ihr Blick fiel plötzlich auf ihn; da überflog ein so schneller freudiger Schreck ihre Züge, daß Ludwig keinen Augenblick zweifeln konnte, sie erkenne ihn wieder. Eben wollte er grüßen, die Lippen zur Anrede öffnen, als sie mit auffallender Hast die französischen Worte ausrief: »Voilà mon frère!« und ihm entgegeneilte. Ludwig, höchst bestürzt, ahnte ein Mißverständnis; doch bevor er sich faßte, ihr nur ein Wort entgegnen konnte, rief sie ihm italienisch, so daß alle Umstehenden es hörten, zu: »Gott sei Dank, Bruder, daß du kommst«, und setzte leise, aber hastig auf deutsch hinzu: »Ich bin verloren, wenn Sie mich verleugnen.« Ebenso schnell wandte sie sich zu dem Offizier zurück, nahm ihm das Papier aus der Hand und reichte es Ludwig, indem sie französisch sagte: »Dieser Herr will unsern Paß nicht gelten lassen, weil du nicht bei uns warst. Das kommt von deinen romantischen Seitenwegen,
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