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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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größten Teil der Bagage, der Verwundeten und der Wagen überhaupt, für welche die eine Brücke aus- schließlich bestimmt war, am jenseitigen Ufer zu sehen.
    Rasinski riet jetzt Bernhard an, sich mit dem Wagen Biankas nunmehr dem Zuge anzuschließen, damit er nicht in den Strudel der Verwirrung gerissen würde, wenn etwa neu herankommende Kolonnen oder gar der anrückende Feind eine größere Hast und Bestürzung erzeugen sollte. Mit bangen Gefühlen trenn- ten sich Bernhard und Ludwig von Rasinski; doch sie sahen ein, daß er mit den Seinigen vielleicht einer der letzten sein werde, ja sogar hier noch ins Gefecht kommen könne. Überdies hätte er doch auf der andern Brücke übergehen müssen, da den Wagen die obere ausschließlich angewiesen war. Sie nahmen daher, von unglücklichen Ahnungen bewegt, einen wehmütigen Abschied und begleiteten den wieder von Willhofen geführten Wagen hinunter nach Studianka. Jetzt brach die Dämmerung ein. Der Zug der Fuhrwerke rückte langsam vorwärts; gegen das Ufer hin glich er einer ungeheuern Wagenburg, bei der an Festhaltung der Reihe und Ordnung nicht mehr zu denken war; sondern wie jeder sich am besten aus dem verworrenen Knäuel loswickelte und die Brücke zuerst erreichte, ging er über.
    Bianka warf ängstliche Blicke über dieses Getümmel von Rossen, Menschen, Wagen und Schlitten; ein dumpfes Brausen rufender und kreischender Stimmen, das von Minute zu Minute mit dem Dunkel der Nacht wuchs, erhöhte den beängstigenden Eindruck, den diese unermeßliche Verwirrung machen mußte. »O, wäret ihr jetzt nicht in meiner Nähe, ihr Geliebten,« sprach Bianka sanft zu Bernhard und Ludwig, indem sie beider Hände ergriff, »wie verlöre ich mich in diesem grauenden Gewühl! Aber so ist mein Herz ohne Sorge und ohne Furcht.«
    Ludwig fühlte wohl, daß sie mit dieser scheinbaren Ruhe nur seine und des Bruders Besorgnisse um sie mildern wollte, wie es denn ihrer schönen Seele eigen war, stets zuerst den fremden Schmerz, die fremde Sorge zu fühlen und zu lindern. Er antwortete daher auch für sie tröstend und beschwichtigend und scherzte, um sie zu zerstreuen, mit dem Kinde, das, keine Gefahr ahnend, mit rührender Unschuld plauderte und schäkerte. Bernhard blickte indessen aufmerksam umher, um jeden Vorteil, der sich darböte, rasch wahrzunehmen. Ein unruhiges Murmeln zu seiner Linken bewirkte, daß er sich dorthin wandte. Eine Menge von Kriegern deutete auf die Schneehügel abwärts vom Flusse, und das Gemurmel, welches durch die Reihen lief, zeigte, daß ein Ereignis von Wichtigkeit ihre Aufmerksamkeit beschäftige. Anfangs konnte Bernhard nicht erraten, was es sein mochte; plötzlich aber entdeckte er einen rötlichen Schein über dem Schnee, der an Größe und Helle zu wachsen schien.
    »Borisow steht in Flammen!« rief eine Stimme neben ihm; es war Willhofen. – »Glaubst du?« fragte Bernhard. – »Es kann kein anderer Ort sein; ich weiß, daß es gerade dort hinaus liegt.« Die Flammen schlugen höher auf, allgemach wurden alle, die an dem Ufer versammelt waren, die Erscheinung gewahr, und indem jeder seine Aufmerksamkeit darauf richtete, wurde das brausende Geräusch der Stimmen dadurch einige Augenblicke unterbrochen. In diesen vernahm man deutlich starken Kanonendonner von dorther. Es wurde also um Borisow, kaum zwei Stunden von Studianka, gefochten.
    Noch in dieser Nacht kann der Feind anrücken. Diese Betrachtung schien sich in jeder Brust zugleich zu gestalten und plötzlich eine überstürzende Hast und Eile der Rettung auf das jenseitige Ufer zu erzeugen. Von drei Seiten zugleich wurden die Wagen heftig auf den engen Zugang der Brücke zugetrieben; sie fuhren gegeneinander an, daß die Räder und Achsen brachen, warfen um und stopften so die Bahn. Dies verursachte ein grimmiges Toben und Schreien von allen Seiten her. Mit Wut warfen sich die Nachfolgenden auf die, welche verunglückt waren und ihnen so den Weg der Rettung versperrten. Ohne Erbarmen rissen sie die Unglücklichen, welche auf den Wagen gesessen hatten, herab und zerschlugen die zerbrochenen Fahrzeuge in tausend Trümmer, um sich Bahn zu brechen. Doch, noch bevor ihnen dies völlig gelang, drängten schon wieder andere Wagen nach, die vordem jagten daher in wilder Eile über die Trümmer zerbrochener Räder und Gestelle hin der Brücke zu, verfuhren sich ebenfalls ineinander, brachen die Achsen, stürzten um und erneuerten so selbst das Schauspiel, das eben ihre Wut erregt hatte. Pferde und

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