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1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

1812 - Ein historischer Roman (German Edition)

Titel: 1812 - Ein historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Rellstab
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Klang der Schlacht. Diese Vermutung wuchs, denn man sah Eilboten von mehreren Seiten an den Kaiser kommen, der noch immer mit Majestät und ruhiger Haltung am Ufer weilte und an der Brücke für die Infanterie den Übergang leitete. Andere Boten wurden eilig zurückgesandt; an allem bemerkte man, daß wichtige Vorfälle sich ereignet haben müßten. An der Herstellung der Brücke arbeitete man bereits mit höchster Anstrengung, doch sandte der Kaiser einen Offizier nach dem andern, um die Vollendung zu beschleunigen. Indessen dauerte der Kanonendonner mit kurzen Zwischenräumen immer fort, ohne sich jedoch zu nähern. Die Dunkelheit der Nacht machte eine Schlacht unmöglich, das gegenseitige Feuern schien daher nur den Zweck zu haben, einander fortwährend in Aufmerksamkeit zu halten.
    Mitternacht war vorüber. Die übermäßig angespannten Kräfte des Körpers und der Seele hatten die meisten der am Ufer versammelten Unglücklichen in Schlaf gesenkt; doch Hunger und Kälte, vor allem aber ein scharfer Nordostwind, der sich immer gewaltiger erhob und alles erstarrte, was er berührte, trieben sie an, eine andere Zuflucht zu suchen. Sie verbargen sich unter die Wagen, krochen zwischen die Pferde, um ihre verklammenden Glieder an der tierischen Wärme aufzutauen, lagerten sich in dichte Haufen übereinander hin. Plötzlich beleuchtete eine rötlich glühende Fackel das düstere Nachtstück, und ein blutiger Widerschein glänzte auf dem Strome und auf den beschneiten Anhöhen. Als man sich umwandte, sah man das Dorf Studianka in vollen Flammen. Die Unglücklichen von den Uferhöhen, die noch bis dahin zurückkommen konnten, hatten daselbst eine Zuflucht gesucht; doch die Hütten waren überfüllt und die Kälte der rauhen Nacht wuchs mit dem Sturm. Holz fand sich nicht in der Nähe, daher rissen die Verzweifelnden die elenden Häuser über den Häuptern derer zusammen, die sich hineingeflüchtet hatten, und zündeten die Balken, Dielen und Dachsplinte an, um sich daran zu erwärmen. Der Kaiser war höchst erzürnt über diesen Vorfall, der dem Feinde den Übergangspunkt verraten und das Verderben aller herbeiführen konnte. Indessen war die Tat geschehen, und überdies der Drang der Umstände so gewaltig, daß selbst sein mächtiger Wille nichts mehr dagegen vermochte.
    Die ganze Nacht hindurch dauerte das Defilieren der geordneten Truppen über die unversehrte Brücke fort; doch wurde auch sie jetzt für die Artillerie benutzt, solange die zweite gesperrt war. Nach ihrer Herstellung hätte man Hoffnung gehabt, den Übergang regelmäßiger bewerkstelligt zu sehen, da teils die Menge am Ufer sich vermindert hatte, teils die bittern Erfahrungen, die man gemacht, zur Lehre dienen konnten. Da aber ereignet sich ein neues Unheil. Unvermutet kommt eine Reihe von Wagen mit Schwerverwundeten, von Frauen und leichter verwundeten Kriegern zu Fuß begleitet, bei dem Heere an. Es sind Jammerbilder, von Frost, Hunger und Schmerzen gequält. Man staunt, man fragt, woher sie kommen? Von Borisow, wo der Feind die Brigade des Generals Parthouneau in dieser Nacht zum größten Teil gefangen genommen hat. Nur einem Teil ist es gelungen, sich zu retten; er zieht sich vor den nachrückenden Russen zurück, und ihm gehen diese Verwundeten und eine unübersehbare Schar waffenloser, halbverhungerter Nachzügler voran, die hier ihre Rettung suchen. Kaum sind diese ersten Erkundigungen eingezogen, so erblickt man auch schon dichte schwarze Scharen, welche die Höhen und die Uferränder bedecken.
    Bei dem falben Schein der verglimmenden Hütten von Studianka, bei der Dämmerung des Schnees und der Gestirne erkennt man, daß es viele Tausende sind, die in ungeordneten Zügen herannahen. Kaum gewahren sie gewaffnete Kameraden, von denen sie sich Schutz versprechen, als sie in wilder Hast, als sei der Feind ihnen schon auf den Fersen, heranstürzen und ihre Reihen bedrängen. Bleich, hohlwangig, die Gier des stachelnden Hungers im Blick, vor Angst und Frost schlotternd, mit leisem Gewimmer, nahen diese Unseligen und flehen mit aufgehobenen Händen um Schutz und Nahrung. Von Mitleid bewegt, will man sie anfangs nicht zurückweisen; doch ihre Massen drängen so gewaltsam nach, daß sie die geordneten Reihen der Krieger durchbrechen; und als sie vollends die Brücke erblicken, stürzen sie in besinnungsloser Eile auf diesen Rettungsweg zu und drohen so das Unheil von gestern zu erneuern. In diesem Augenblicke befiehlt der Kaiser, der neue Nachrichten

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