1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Darauf konnte er gern verzichten. Napoleons Ära war vorbei.
»Mein Platz ist bei meinem Volke!«, erklärte er feierlich und streckte die Brust heraus.
Er war ein König, was sollte ihm geschehen? Nirgendwo wurde er heute dringender gebraucht als in Leipzig, auf dem Feld des Sieges, um sofort die Verhandlungen mit den Alliierten aufzunehmen. Um Sachsens Zukunft willen! Um seine Annexion zu verhindern und im besten Falle sogar Gebietserweiterungen auszuhandeln.
Außerdem dürfte die Anwesenheit eines Königs die Russen und Preußen davon abhalten, die Stadt in Trümmer zu schießen oder in Brand zu stecken. Was übrigens die Franzosen ungeheuerlicherweise planten! Auch das war ihm nicht entgangen.
»Wie Euer Majestät es für angemessen halten«, erwiderte Bonaparte.
Dann senkte er die Stimme noch ein wenig und beschwor den König: »Ich brauche Zeit für einen geordneten Abzug meiner Truppen. Sollte die Deputation des Rates an die alliierten Herrscher ohne Erfolg bleiben, dann schicken Sie Gersdorff! Verschaffen Sie mir wenigstens vier Stunden! Ihren Generalstabschef werden die Monarchen wohl nicht so einfach wegschicken wie ein paar verängstigte Ratsherren.«
Friedrich August versprach dies mit bestem Gewissen. Sobald Napoleon endlich aus der Stadt fort war, würde er Gersdorff ohnehin als Unterhändler zu den Alliierten entsenden.
Die »guten Brüder« verabschiedeten sich voneinander. Für immer, wie zumindest einer von ihnen wusste.
Vor dem Apelschen Haus waren die Sächsischen Leibgrenadiere des Königs angetreten, auch Friedrich von Dreßlers Gardebataillon, das vor Tagesanbruch den Befehl erhalten hatte, nach Leipzig einzurücken und den Schutz des Königs zu übernehmen.
Die gestrigen Kämpfe hatten sie in unmittelbarer Nähe Napoleons zugebracht. Dabei sah Friedrich von Dreßler mit eigenen Augen und größtem Erstaunen, dass sich Napoleon mitten im Schlachtgetümmel auf den Boden legte, sich ein Lederkissen bringen ließ und ein Weilchen schlief. Keiner der Offiziere, die ihn sprechen wollten, wagte es, ihn zu stören. Erst Murat , der in größter Eile angeritten kam, durfte ihn wecken.
Als dem Kaiser gemeldet wurde, dass der größte Teil der sächsischen Armee übergegangen war, verpflichtete er Dreßler und die anderen Leibgrenadiere zu Stillschweigen darüber und schickte sie allesamt nach Leipzig. Damit war die Gefahr gebannt, dass auch noch Rheinbundtruppen aus seiner unmittelbaren Umgebung zum Feind überwechselten.
Nun, vor dem Apelschen Haus am Markt, stellte der Kaiser dem Major von Dreßler als Bataillonsführer und Flügelmann ein paar Fragen über Verluste und Teilnahmen an Schlachten, wie er es immer tat, wenn er Paraden abnahm. Nicht, weil ihn die Antworten interessierten, sondern weil es die Soldaten motivierte und sie noch lange davon reden würden.
Dann hob er lässig die Hand und rief dem Major von Dreßler und seinen Männern zu: »Beschützt euern König gut!«
Die Leibgrenadiere antworteten mit einem kräftigen »Vive l’Empereur!«.
Das ist der größte Augenblick in meinem Leben!, dachte Friedrich von Dreßler.
Schon ritt der Kaiser mit seiner Suite Richtung Hainstraße los, um Leipzig zu verlassen.
Sein Gefolge war nicht groß für einen Imperator und Herrscher über beinahe ganz Europa: Joachim Murat, der König von Neapel, sein Generalstabschef Berthier, Ney , Großstallmeister Caulaincourt und Artilleriegeneral Drouot.
Doch selbst für diese wenigen und in den prachtvollen Uniformen auffallenden Männer – sah man einmal von Bonaparte ab, der wie üblich in seinen schlichten grauen Mantel über der Jägeruniform gekleidet war – erwies es sich als äußerst schwierig, aus der hoffnungslos überfüllten Stadt zu kommen. Auf die feierliche Szene mit der Königsgarde vor dem Apelschen Haus sollte eine bizarre Odyssee folgen, über die sich die Leipziger noch hundert Jahre später Anekdoten erzählten.
Ein Laib Brot
Leipzig, 19 . Oktober 1813
A ls Henriette erwachte, dämmerte es bereits. Erschrocken fuhr sie hoch. Wie spät mochte es sein? Sie war erst tief in der Nacht und vollkommen erschöpft ins Bett gekommen.
Rasch zog sie sich an, wusch sich das Gesicht, drehte sich die Haare zusammen und ging hinunter zu ihrer Zimmerwirtin. Die hatte eine Uhr auf dem Kaminsims, das wusste sie genau.
Fast acht Uhr, o Schreck! Nun würde sie bestimmt wieder gerügt werden!
»So lasse ich Sie aber nicht aus dem Haus, Kind!«, erklärte zu Jettes Überraschung die
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