1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Preußen umschlossen war, dann wäre er jetzt ein Gefangener der Alliierten. Natürlich nicht wirklich ein Gefangener – kein König würde einen anderen gefangen nehmen. So etwas
tat man einfach nicht!
Aber er hätte eine deutlich schlechtere Ausgangsposition für Verhandlungen.
Stattdessen war er hier in Leipzig, und allein seine Gegenwart schützte die Stadt und ihre Bewohner.
Manchmal lauschte er vom Fenster aus den Gesprächen der Leipziger Bürger. Eines hatte ihn wirklich entrüstet. Da standen drei Männer am Eingang dieses Hauses und monierten lautstark, den König jetzt so wenig bejubelt und in französischer Gewalt in Leipzig zu wissen. In Prag hätte er bleiben sollen! Erst der vierte, ein braver Bürger, rief ihnen entrüstet in Erinnerung, dass die Präsenz des Königs für die Stadt Sicherheit bedeute und man dem Monarchen für seinen Mut dankbar sein müsse, in dieser schweren Zeit sein Schicksal mit den Leipzigern zu teilen, ganz gleich, was da kommen möge.
Er würde das Unheil abwenden. Dank der ihm von Gott verliehenen Stellung.
Vorhin hatte ihm Napoleon einen Boten gesandt und ausrichten lassen, die Dinge stünden gut, der Sieg sei greifbar nah. Friedrich August hatte sich höflich bedankt und Grüße an seinen »guten Bruder«, den Kaiser, ausrichten lassen.
Glaubten sie wirklich, er wisse nicht Bescheid, wie es stand?
Auch wenn er kein Militär war, schon gar kein genialer Heerführer, so besaß er doch genug Männer in seinem Geheimen Kabinett, die ihn ins Bild setzten. Sein Generalstabschef von Gersdorff erfuhr vieles aus eigener Betrachtung und informierte ihn umgehend. Außerdem hatte er erfahrene Offiziere auf dem Turm der Thomaskirche und seinen Generaladjutanten von Bose auf dem Turm der Pleißenburg postiert, die ihm halbstündlich über den Ablauf der Kämpfe Bericht erstatteten.
Schon im Dezember konnte ihn Napoleons vorsichtiges Eingeständnis nicht im Geringsten überraschen, der Feldzug in Russland sei ganz nicht so günstig verlaufen wie erwartet. Natürlich ließ er sich das nicht anmerken und spielte den Ahnungslosen. Sein Gesandter Watzdorf hatte ihm seit dem Sommer in Dutzenden Depeschen aus Wilna ausgiebig und mit vielen haarsträubenden Einzelheiten von der Niederlage der Grande Armée berichtet.
Da würde er sich jetzt doch nicht von Bonapartes Lügen täuschen lassen! Schließlich konnte er mit eigenen Augen sehen, wie die zahlenmäßig nun deutlich überlegenen Alliierten den Ring immer dichter um Leipzig schlossen und nur noch die Straße nach Westen frei ließen. Und schon in der vergangenen Nacht hatte der Abzug der ersten französischen Kontingente und Trainkolonnen begonnen.
Nein, jetzt musste er
seine
Vorbereitungen treffen, um sich, Leipzig und Sachsen über den nächsten Tag zu retten.
Morgen würden die Alliierten siegen, das war unausweichlich.
Von da an würde Zar Alexander der neue mächtigste Mann Europas sein.
Mit ihm musste er sich ins Einvernehmen setzen.
Besser verstand er sich allerdings mit Kaiser Franz von Österreich. Mit dem hätte er ja im Frühjahr um Haaresbreite eine Allianz gebildet. Österreich konnte Sachsen unter seinen Schutz stellen, wie es das mit Bayern getan hatte, nachdem es aus dem französischen Protektorat ausgeschert war.
Mit der im April geplanten sächsisch-österreichischen Allianz könnte er übrigens auch vor dem Zaren argumentieren. Schließlich hatte er seine Truppen insgeheim österreichischem Kommando unterstellt und damit genau betrachtet den Alliierten geholfen!
Ja, so würde er argumentieren. Alexander konnte sich dem nicht verschließen.
Er musste Sachsens territorialen Erhalt als Königreich sichern, entgegen den Absichten Preußens, die ihre Annexionspläne gewiss nicht aufgeben würden.
Selbst der heutige Übergang von dreitausendzweihundert sächsischen Soldaten zu den Alliierten – ein maßloser Verrat an ihm, ein unerhörter Bruch des Eides, den sie ihrem König geschworen hatten! – ließ sich trotz seiner maßlosen Enttäuschung darüber zu seinen Gunsten nutzen.
Die sächsische Armee war damit de facto zu den Alliierten übergetreten. Gewiss, nicht die ganze, aber viel mehr als diese dreitausendzweihundert gab es ja nicht mehr, abgesehen von den siebenhundert, die sein General Zeschau gerade noch von ihrem schändlichen Tun abhalten konnte. Ansonsten waren ihm nur noch seine Leibgrenadiere und die letzten paar Überlebenden seiner zwei Kürassierregimenter geblieben.
Bei wohlwollender
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