1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
recht ungehaltenen preußischen König Vorwürfe anhören, weil die Sachsen aufseiten der Franzosen kämpften. Wichmanns Argument, fast die gesamte sächsische Armee sei doch gestern übergelaufen, ließ Friedrich Wilhelm nicht gelten.
»Haben sich viel Zeit gelassen«, monierte der Monarch von oben herab. Der sächsische König habe sich auf die falsche Seite gestellt und so sein Land in das Unglück gestürzt. Und die Notlage Leipzigs sei leicht zu beheben, wenn die Leipziger den Alliierten nur ihre Tore weit öffneten.
»Sire, es sind noch Zehntausende bewaffnete Franzosen in der Stadt!«, rief der Steuereintreiber verzweifelt und log in seiner Not, der König von Sachsen warte schon ungeduldig darauf, die Alliierten als Befreier zu begrüßen.
Das glaubte ihm auch der Zar keine Sekunde lang und lehnte deshalb eine Waffenruhe ab. Dies sei nur ein Täuschungsmanöver Bonapartes. Aber er garantiere den Leipzigern, kein russischer Soldat werde ein Haus betreten, bevor nicht er, der Kaiser, in der Stadt sei.
Mit dieser nur wenig beruhigenden Nachricht kehrte Wichmann ins Rathaus zurück.
Der Ratsdiener Müller als zweiter Parlamentär hatte sich inzwischen bis zu Blücher durchgeschlagen und überbrachte dessen Zusicherung, die Leipziger hätten keine Plünderung zu befürchten. Dafür sollten sich aber die Franzosen umso mehr in Acht nehmen!
Die Ratsherren meldeten den ungünstigen Verlauf beider Missionen dem König, und so wusste Friedrich August von Sachsen, dass er nun selbst eingreifen musste. Er schickte seinen Generalstabschef von Gersdorff zum Kaiser von Russland. Zu dem Mann, der künftig in Europa das Sagen haben würde, wie der König sich immer wieder vor Augen hielt.
Der General von Gersdorff verneigte sich tief vor dem Zaren, schmeichelte ihm – und wurde eiskalt abgefertigt: Er, der Zar, habe keinerlei Veranlassung, dem König von Sachsen zu glauben oder irgendwelche Vorschläge anzunehmen. Vor gerade einmal zwei Monaten habe dieser mit dem Kaiser von Österreich und ihm selbst eine Verbindung gegen die französische Regierung geschlossen und schon nach drei Tagen sein Wort gebrochen. Keine vier Stunden Zeit werde er zugestehen, nicht einmal eine Minute.
»Was die Einwohner und die deutschen Truppen betrifft, so können Sie in meinem Namen versichern, dass man alle diejenigen schonen wird, die sich nicht verteidigen«, ließ sich Zar Alexander gerade noch herab. »Ich habe Ihnen nun alles gesagt. Sie können zurückkehren!«
Von Gersdorff befand sich kaum außer Sichtweite, als der russische Kaiser seine Adjutanten losschickte, um seinen Truppen den Befehl zum Sturm auf die Stadt zu erteilen.
Während Henriette aus der Kirche trat, um zu sehen, wem sie noch helfen konnte, irrte Napoleon Bonaparte immer noch durch die überfüllten Straßen Leipzigs. Genau genommen irrte er nicht, er hatte schließlich einen wegkundigen Führer, den Postillion Gabler, der jeden Weg und jeden Steg kannte. Doch sie scheiterten erst einmal am Gedränge in den Straßen und an der übertriebenen Befehlstreue einiger Rheinbündler.
Bonaparte wollte zum Ranstädter Tor hinaus – dem Hauptfluchtweg seiner Armee – und musste erkennen, dass dort derzeit nicht einmal für ihn ein Durchkommen war. Der Weg war verstopft mit Munitionswagen, Trainkolonnen, Viehherden, Verwundetentransporten und einer unübersehbaren Menschenmenge, die sich rücksichtslos durchzudrängen suchte, um aus der Stadt zu entkommen, bevor der Sturm der Alliierten begann.
Also befahl der Kaiser dem Postillion, ihn nach Süden zu führen, Richtung Peterstor. Dort traf er seine Marschälle Poniatowski und Macdonald und verlangte von ihnen noch einmal in aller Schärfe, die Stellung um jeden Preis zu halten.
Poniatowski, in den letzten Tagen zweifach verwundet, nahm die Order entgegen, ohne eine Miene zu verziehen. Wenn er mit der Deckung des Rückzugs zur Wiedergeburt Polens beitragen konnte, würde er es tun. Falls nötig, auch unter Einsatz seines Lebens.
Macdonald hingegen dachte: Wie immer! Die ausweglosen Kommandos gehen an die Polen, die Rheinbündler und mich, weil er mich nicht leiden kann. Und zur Strafe für die Niederlage an der Katzbach.
Nun führte der ortskundige Postillion seine hochrangige Gefolgschaft zum Barfüßertor, das von Badener Soldaten bewacht wurde. Welche sich stramm darauf beriefen, das Tor dürfe niemandem geöffnet werden, es sei denn, der Kaiser befehle es.
»Reißt ihr Tölpel mal gefälligst eure Augen
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