1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
Werkstatt ging, stand sie auf, überprüfte mit einer Handbewegung, ob ihr Haar noch ordentlich zusammengesteckt war, und nahm den Schlüssel für die Ladentür vom Haken.
»Ich werde für heute schließen«, erklärte sie. »Nochmals vielen Dank!«
Der Schriftsetzer nickte ihr zu und ging zurück in die Druckerei.
Jette räumte mit ein paar Handgriffen auf, verriegelte die Fensterläden, nahm das Abrechnungsblatt und die Kassette mit den spärlichen Einnahmen des Tages. Dann schloss sie die Buchhandlung sorgfältig zu.
Heute würde ohnehin kein Kunde mehr kommen. Und sie musste jetzt dringend mit Onkel und Tante sprechen – über die unheimliche Begegnung mit dem Major und darüber, wie sie den Abend überstehen sollte, ohne alle in Gefahr zu bringen.
Bisher waren den Gerlachs die angekündigten Abendessen mit dem Major und seinem Sohn erspart geblieben, weil die beiden Militärs in den ersten Tagen nach Ankunft der Besatzungstruppen ständig außer Haus waren, zu Besprechungen oder Essen mit anderen Offizieren und dem neu eingesetzten französischen Stadtkommandanten.
Tante Johanna, der Jette als Erster die Nachricht des Majors übermittelte, nahm die Neuigkeit in der ihr eigenen Art auf – und mit den ihr angemessen erscheinenden Maßnahmen.
»Wir müssen etwas mit deinem Haar machen«, entschied sie sofort. »Ein paar Schleifen, ein paar Bänder … Gegenüber einem hübschen Mädchen, einer Dame, wird sich ein gebildeter Mann wie dieser Trousteau zu benehmen wissen.«
Sie lächelte zufrieden, dann rief sie durchs ganze Haus nach Thea, um mit ihr das Menü zu besprechen.
Auf dem Weg zur Küche, wo nun seit der französischen Einquartierung auch die Familie Gerlach aß, rannten ihr Franz und Eduard über den Weg, die wer weiß woher kamen.
»Ihr Burschen, wo habt ihr euch wieder herumgetrieben?«, schimpfte Johanna. »Geht euch auf der Stelle waschen, und dann räumt euer Bettzeug in den Laden! Und du, Jette, komm endlich, damit wir dich herausputzen. Alles andere würde uns als Unhöflichkeit ausgelegt werden, und das können wir uns wirklich nicht erlauben.«
Gerade als Johanna und Nelli beginnen wollten, Jettes Haar mit der Brennschere zu bearbeiten, kehrten Lisbeth und Josef von ihrer Reise nach Torgau zurück.
Die Ankunft der beiden war schon dringend erwartet worden, weil angesichts der vielen unwillkommenen Gäste jede helfende Hand gebraucht wurde. Aber jeder im Haus machte sich seine eigenen Gedanken und Sorgen, was sie wohl über ihre vermissten Söhne erfahren hatten und wie es ihnen seitdem ging.
Friedrich Gerlach war der Erste, der sie kommen sah, und stieg sofort die Treppe hinab.
Das Gesicht der Köchin war wie versteinert. Rüde schob sie einen der Grenadiere beiseite, um sich den Weg in die Küche zu bahnen, was zu einem Gerangel führte, zu Geschimpfe in zwei Sprachen und beinahe zu einer handgreiflichen Ausschreitung.
»Lasst die Frau in Ruhe!«, ging der zumeist freundliche Buchdrucker und Verleger ungewohnt energisch auf Französisch dazwischen. »Sie ist eine Mutter, die vier Söhne für die Grande Armée geopfert hat.«
Sofort ließen die Soldaten von der Köchin ab, die sich um nichts weiter zu scheren schien und die Tür hinter sich zuschlug.
»Vier Söhne?«, vergewisserte sich ein blutjunger Soldat mit hellblondem Haar, der noch keine sechzehn Jahre alt zu sein schien. »Eine gute Frau!«
»Das ist sie. Und wahrscheinlich sind alle vier tot. Also erweisen Sie ihr den entsprechenden Respekt!«, mahnte Gerlach streng.
So froh er war, die Köchin wieder im Haus zu haben, wenn solche Mengen Arbeit anstanden – Lisbeths Gesichtszüge waren für ihn die Bestätigung dessen, was er befürchtet hatte. Aber ihr jetzt Trost zusprechen zu wollen würde alles nur noch schlimmer machen. Dafür kannte er sie zu genau. Sie würde einen Eimer voll Kartoffeln aus dem Keller holen und sie zu schälen beginnen oder einen schweren Teig kneten, um beschäftigt zu sein und nicht reden zu müssen.
Also ging er zu Josef, der auf dem Hof gerade die Pferde an seine beiden jüngsten Söhne übergab, damit sie die Tiere fütterten und tränkten.
»Tot, alle vier, in Russland gestorben. Es gibt keinen Zweifel«, beantwortete Josef die unausgesprochene Frage brüsk. »Da liegen sie in der kalten russischen Erde verscharrt, falls sie überhaupt jemand begraben hat so weit im Osten. Bitten wir den Allmächtigen, dass mir das Weib nicht verrückt wird darüber!«
Er schneuzte sich
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