1813 - Kriegsfeuer: Roman (German Edition)
etwas länger, und seine Gesichtszüge eher jungenhaft verwegen wirkten, nicht so berechnend wie die seines Vaters.
Er ist bestimmt kaum zwanzig, mutmaßte sie. Aber ich darf mich davon nicht täuschen lassen. Er führt Waffen, dient in der französischen Armee und kommt keineswegs als Freund. Ein falsches Wort, eine missverstandene Geste, und wir sind ihnen vollkommen ausgeliefert. Ihr stand noch vor Augen, wie der Major mit dem Degen auf den zu Tode erschrockenen Felix losgegangen war.
De Trousteau hatte für sich den Platz an der Stirnseite des Tisches gewählt. Henriette saß auf seinen Wunsch zwischen ihm und seinem Sohn Étienne.
Johanna wurde von ihm höflich gegenüber ihrer Nichte plaziert und der Hausherr neben seiner Frau – so dass ihn der Major gut im Blick hatte und Jette sich meilenweit von ihrem schützenden Vormund entfernt fühlte.
Schon steckte sie mittendrin in den Schwierigkeiten, und das im direktesten Sinne. Denn zwischen den beiden fremden Offizieren festzusitzen, ohne kaum mehr als eine Handbreit ausweichen zu können, erfüllte sie mit so viel Unbehagen, dass sie es nur mit Mühe schaffte, wenigstens die Andeutung eines Lächelns aufzusetzen.
Durch ihre Unerfahrenheit mit Männern fühlte sie sich bedrängt und eingeschüchtert.
Zu Hause in Weißenfels, als ihr Vater noch lebte, war sie nur selten auf Gesellschaften gewesen, und die Männer, die sie dabei traf, waren gute Freunde der Familie und hatten sie entsprechend väterlich behandelt.
In ihrem alten Leben hatte es niemanden gegeben, der ihr Herz zum Flirren gebracht hätte – abgesehen von den jugendlichen Schwärmereien für Theodor Körner und für Ludwig. Vielleicht war sie ja blind für die Blicke junger Männer. Doch sie glaubte felsenfest, sie sei einfach nicht hübsch genug, um jemanden in sich verliebt zu machen. Sie war zu klein, zu mager … Ihr Haar war auch nicht blond oder von glänzendem Schwarz, sondern ganz gewöhnlich braun und glatt. Nein, sie war gewiss keine Schönheit. Auf die Schmeicheleien des Majors würde sie nicht hereinfallen.
Nach allem, was in den letzten zwei Wochen geschehen war, würde sie sich sowieso niemals verlieben können. Sie hatte das Recht dazu verwirkt.
Doch nun schien dieser junge Seconde-Lieutenant sie mit Blicken zu verschlingen; und auch sein Vater gab sich ihr gegenüber charmant. Sie sind unsere Feinde, auch wenn sie noch so freundlich tun – das darf und werde ich nie vergessen, ermahnte sie sich in Gedanken.
Der Major winkte seinen Adjutanten heran, der vier Flaschen Rotwein auf die Kredenz stellte.
»Sie haben große Unannehmlichkeiten durch die Einquartierung, Madame«, sagte er zu Johanna. »Das bedauere ich. Als kleine Wiedergutmachung erlaube ich mir, zu unserem gemeinsamen Mahl ein paar Flaschen Wein beizusteuern. Französischen natürlich.«
Er gab seiner Ordonnanz das Zeichen, die Gläser zu füllen, und hob dann seines. »Lassen wir den Krieg und die Politik heute draußen. Trinken wir auf den Frieden und auf die Schönheit von Demoiselle Henriette!«
Sie hoben die Gläser, und als Étienne Jette dabei in die Augen sah, senkte sie rasch die Lider und dachte schaudernd: Gütiger Gott, ich darf ihn nicht in meine Seele blicken lassen, sonst bin ich ganz und gar verloren.
»Mein Vater hat recht, Sie sehen wirklich bezaubernd aus!«, sagte der Seconde-Lieutenant halblaut und musterte sie anerkennend. »Ein paar Blüten im Haar, ein Seidenkleid mit Spitze, und Sie würden auf jedem Ball in Paris reihenweise die Herzen der Männer brechen.«
»Ich war noch nie in Paris, doch mit der Schönheit der Frauen dort kann ich mich ganz gewiss nicht messen«, wehrte Jette die Schmeichelei ab. »Und hier in der Stadt wird es keinen Ball geben. Es ist Krieg.«
»Krieg? Was für ein Krieg, Demoiselle?«, fragte der Major verwundert und breitete die Arme aus. »Der Krieg ist vorbei! Wir haben gewonnen. Der Feind ist schon bis hinter Bautzen zurückgetrieben, und dort werden wir in ein paar Tagen seine letzten Überreste vernichten. Sachsen ist lediglich Durchmarschgebiet, kein Kampffeld. Sie haben doch sicher längst das Bulletin gelesen, das Ihr Vormund auf der nächsten Titelseite veröffentlichen wird …«
Natürlich hatte Jette die Ansprache Napoleons schon auf dem Korrekturbogen gelesen, die auf Französisch und Deutsch in der nächsten Ausgabe der
Gemeinnützigen Nachrichten
und in wohl jeder Zeitung Sachsens erscheinen würde. Aber sie schüttelte den Kopf, als wüsste
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