182 - Im Dorf der Telepathen
wenn du willst.«
»Malie Tagomi.«
Sie hatte nicht nur einen ansehnlichen Leib, sondern auch verdammte schöne Augen.
»Ich bin nicht von hier«, sagte Matt, um Konversation zu treiben und die Gelegenheit zu nutzen, sich ein wenig umzuschauen. »Ich bin nur auf der Durchreise.«
»Ich auch. Woher kommst du?«
Matt hatte den Eindruck, dass er ihr gefiel, denn ihr Blick ruhte mit Wohlgefallen auf ihm. Er deutete über seine Schulter. »Von da.«
»Ist bestimmt schön da.« Auch Malie deutete über ihre Schulter. »Ich komme allerdings von dort.«
Matt grinste. Humor schien sie auch zu haben. Das unterschied sie schon mal von viel zu vielen anderen Menschen. Er räusperte sich. Ihre Aussprache war deutlich. Sie sprach britisches Englisch. Wo kam sie her?
Indien? Nein, dazu war sie zu hellhäutig.
Hundertprozentig asiatisch sah sie freilich auch nicht aus. Er tippte auf Hongkong. Vielleicht sogar London.
»Was treibst du hier?« Er deutete auf die stumm und starr stehenden oder sitzenden Gestalten. »Empirische Feldforschung?«
Normalerweise hätte er andere Worte gewählt. Aber er wollte wissen, ob sie wusste, was er meinte.
Sie wusste es, denn sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich verfolge viel profanere Ziele. Es reicht mir schon, wenn ich dazu beitragen kann, dass sie sich nicht den Hals brechen, wenn sie in der Gegend herumlaufen. Oder wenn ich verhindern kann, dass die Typen, die sich hinter dir im Gebüsch verstecken, ihnen ein Bein stellen, damit sie sich den Hals brechen.«
Matt schaute sich mit einem Seufzer um. Zwanzig Meter hinter ihnen bewegte sich Grünzeug. Roohans Freunde pirschten dort herum. »Die mögen keine Fremden, was?«
»Ganz und gar nicht. Sie haben uns ganz unverblümt zu verstehen gegeben, dass sie keine Lust haben, für Fremde Opfer zu bringen. Dabei brauchen die kaum was. Wir haben schon Mühe, ihnen auch nur eine Tasse Gemüsesuppe einzuflößen.« Malie biss sich auf die Unterlippe. »Ich weiß nicht, wie lange sie so noch überleben können.«
»Was ist mit den Leuten los?«, fragte Matt. Es war wirklich unheimlich, den reglosen Menschen zuzuschauen.
»Komm mit«, sagte Malie. »Sei vorsichtig. Remple niemanden an.« Matt folgte ihr bis zur Veranda einer aus Brettern und Metallresten bestehenden Hütte. Dort standen einige einfache Hocker. Durch die offene Tür sah Matt einen großen Kessel über einem lodernden Kaminfeuer. Eine dunkelhäutige Frau rührte den Inhalt um. Eine andere stand an einem Tisch und schnitt Brot.
»Sie haben im wahrsten Sinne des Wortes den Verstand verloren«, erläuterte Malie mit ernster Miene.
»Ihr Geist ist abwesend.«
»Wo ist er denn?«, erkundigte Matt sich geradeheraus.
Er hatte es kaum ausgesprochen, als sich einer der Fremden, ein bärtiger indischer Typ, auf staksigen Beinen in Bewegung setzte. Wer ihm im Weg stand, wich ihm aus, ohne die Miene zu verziehen. Der Mann ging, die Hände ausgestreckt, den Blick leer in die Ferne gerichtet, dorthin, wo der Pfad durch die Innenhof-Wildnis führte, dann blieb er stehen, drehte sich um und stierte an seinem neuen Standort Löcher in die Luft.
»Sein Geist und die der anderen sind nicht hier.«
Malie befeuchtete ihre Lippen. »Ich versuche seit Wochen herauszufinden, was ihre Rückkehr in die Wirklichkeit verhindert.«
»Vielleicht könnte ich helfen, wenn ich wüsste, wie alles angefangen hat. Wer hat diese Leute hergebracht?«
»Die Anangu.«
»Welche Anangu?«
»Sie leben westlich von hier. Seit etwa zwei Monaten tauchen sie im Abstand von zwei Wochen hier auf und laden drei oder vier hilflose Fremde mit dem Befehl ab, man solle sich um sie zu kümmern. Die Einheimischen sind zwar nicht davon erbaut, aber sie wagen es nicht, die unerwünschten Gäste zurückzuweisen.«
»Warum nicht?«
Malie zuckte die Achseln. »Die Leute hier leben im Machtbereich der Anangu. Sie fürchten, dass man sie verjagt, wenn sie nicht gehorchen. Ohne den Schutz der Anangu wären sie übel dran. Sie sehen sich selbst als minderwertig an. So was trägt nicht zur Entwicklung von Selbstbewusstsein bei.«
»Woher weißt du, was sie empfinden?«, fragte Matt.
Malie deutete auf ihren fast kahlen Schädel. Matt fragte sich, was sie damit meinte. Köpfchen?
»Diese Leute kommen aus verschiedenen Regionen der Erde, manche sogar aus anderen Kontinenten«, sagte Matt. »Was hat sie hier nach Australien gelockt?«
»Der Ruf.« Malie schaute Matt verdutzt an. »Hast du ihn etwa nicht gehört?«
»Der Ruf?«
Weitere Kostenlose Bücher