183 - Die Stadt Gottes
Obwohl er lächelte, milde sogar, sah Crow, dass er einen harten, gnadenlosen Mann vor sich hatte. Er erkannte es an dessen Augen. Die lächelten nicht.
Der andere, Rev’rend Rage, hockte am linken Rand der Bühne. Breitbeinig hing er dort in einem Lehnstuhl.
Ein schwarzer, breitkrempiger Hut lag neben dem Stuhl auf dem Boden. Eine Flinte lehnte gegen die Armlehne, sein Pelzmantel war offen, um seine Stiefel herum glänzten Wasserlachen aus getautem Schnee, und über beiden Ecken der Hochlehne seines Sessels hing eine Rückenscheide mit einer Langklinge.
»Sie müssen entschuldigen, Gentlemen«, sagte Crow.
»Ich bin gestern von einer langen Reise zurückgekehrt.«
Er stellte das leere Glas zurück auf den Tisch und lehnte sich zurück. »Als ich mich in der Stadt umschaute, geriet ich im alten Stadion in eine Schlägerei.« In einer Geste der Ratlosigkeit hob er beide Arme. »Ich kann beim besten Willen nicht erklären, wie ich danach in diesem Kerker gelandet bin. Ein Missverständnis wahrscheinlich, aber so etwas kann passieren.« Er stand auf. »Ich fürchte, Ihre Leute haben das zu verantworten. Wie auch immer – ich gehe davon aus, dass sie mich herbringen ließen, um sich zu entschuldigen. Ich nehme die Entschuldigung an. Hätte meinen Leuten auch passieren können. Ich gehe dann mal.«
Kräftige Hände packten ihn von hinten und stießen ihn zurück auf den Stuhl. Als er aufspringen und protestieren wollte, hielten ihn die starken Hände fest und drückten ihm schmerzhaft die Schultermuskulatur zusammen. Crow wollte einen Fluch ausstoßen, doch ein Schlag traf ihn im Nacken. Der Fluch blieb ihm im Hals stecken.
»Nicht ganz so grob bitte, Rev’rend Torture!« Als würde er mit Crow leiden, verzog Rev’rend Blood das Gesicht. »Arthur Crow war immerhin einmal der Erste Mann dieser verdorbenen Stadt.« Er kam näher. »Und wenn er sich kooperativ zeigt, wird er bei der Befriedung von Waashton noch eine wichtige Rolle spielen dürfen.«
Mit den Fäusten stützte Rev’rend Blood sich auf dem Tisch auf und beugte sich zu Crow hinunter. »Das jedenfalls hoffen wir im Vertrauen auf den HERRN.« Wie ein großes graues Tier an der Wassertränke sah er aus, und sein fettiges graues Langhaar hing bis auf die Tischplatte hinunter. Crow war froh, dass er das Glas schon geleert hatte.
»Was kann ich für Sie tun, Sir?«, fragte der General mit gepresster Stimme.
»Es wird noch eine Weile dauern, bis Waashton wirklich zur Stadt Gottes geworden ist«, sagte Rev’rend Blood. »Wir sind leider nur dreizehn Diener des HERRN und auf jede Hilfe angewiesen. Sie, Arthur Crow, kennen jede Gasse der Stadt, kennen vor allem die Zugänge zum Bunker. Sie wissen genau, wie die Leute hier ticken. Außerdem sind Sie intelligent und mutig. Wir brauchen Gottesdiener von Ihrem Format, Arthur Crow. Wenn Sie uns entgegenkommen und mit uns zusammenarbeiten, werden auch wir Ihnen entgegenkommen und Ihre Bußstrafen nicht ganz so streng ausfallen lassen.«
Ehe Crow antworten konnte, sprang der andere auf, Rev’rend Rage. »Was redest du da, Rev’rend Blood?!« Er stürmte zum Tisch, pflanzte sich vor dem Erzbischof auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Dieser hier mag einst Erster Mann in Waashton gewesen sein!«, zischte er.
»Jetzt aber ist er, was alle anderen auch sind: ein dem Gericht des HERRN verfallener Sünder!«
»Nicht doch, Bruder Rage«, versuchte Rev’rend Blood den Jüngeren zu beschwichtigen. »Hast du denn vergessen das Wort des HERRN, wonach des Menschen Zorn nicht tut, was gut ist in den Augen des HERRN?«
»Es gibt aber auch einen heiligen Zorn, Bruder Blood!«, fauchte Rev’rend Rage. »Zorn, der für die Sache des HERRN brennt! Und dieser Zorn öffnet mir die Augen und zeigt mir, dass es nicht recht ist in den Augen des HERRN, wenn du diesem Glatzkopf unverdiente Vorteile gewährst! Genauso, wie die Mittel nicht recht waren in den Augen des HERRN, mit denen du dir Einlass in die Stadt…«
»Es ist gut, es ist gut!« Rev’rend Blood hob beschwichtigend beide Hände. »Du bist jung und hitzig, Rev’rend Rage! Aber du magst Recht bekommen für dieses Mal.« Er wies auf Crow. »Dann übernimm du halt die Seelsorge dieses Mannes!« Und dann, flüsternd und nahe an Rev’rend Rages Ohr gebeugt. »Aber bedenke, wie wichtig er für die Sache des HERRN in dieser Stadt werden kann.«
General Crow verstand jedes Wort. Sein Gehör war so scharf wie sein Verstand. Er sah die verkrampfte Körperhaltung,
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