Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
184 - Die Herren von Sydney

184 - Die Herren von Sydney

Titel: 184 - Die Herren von Sydney Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn und Stephanie Seidel
Vom Netzwerk:
zwar nichts Besonderes, aber es macht satt. Und außerdem kannst du dich ausruhen.«
    Er deutete auf den Zelteingang. Roney empfand ein verwirrendes Gefühl von Dankbarkeit. Er folgte Kaplan Willie ins Zeltinnere und schaute sich argwöhnisch um.
    Er konnte sich nicht erinnern, je einem Menschen begegnet zu sein, der ohne Gegenleistung etwas für andere tat.
    Roney nahm an einem langen Holztisch Platz, an dem Männer saßen, Suppe löffelten und Brot aßen. Wie er später erfuhr, arbeiteten sie daran, die brüchige alte Hafenmauer abzudichten, die eine Hälfte des zum Gotteshaus umfunktionierten Opernhauses ständig überflutete. Da die Kristianer neuerdings großen Zulauf hatten, drohte der trockene Teil ihres Tempels aus allen Nähten zu platzen. In Sidnee und Umgebung lebten fast fünftausend Menschen – an manchen Sonntagen zog es zwei Drittel zum Gebet.
    »Willst du mir deinen Namen sagen, Bruder?« Kaplan Willie stellte eine Schale Gemüsesuppe und einen Brotkanten vor Roney ab.
    »Harry.« Roney machte sich über die Suppe her. Das Knurren seines Magens war ihm peinlich.
    Kaplan Willie nahm ihm gegenüber Platz, schaute ihm zu und stellte ihm die restlichen Anwesenden vor.
    Die Namen der meisten Männer gingen dem hungrigen und erschöpften Roney zwar zum einen Ohr rein und zum anderen raus, aber er merkte sich die Namen einiger Arbeiter und den eines schnauzbärtiges Männchens namens Nikodeemus.
    Nikodeemus war weder Mönch noch Arbeiter. Er war ein des Lesens und Schreibens kundiger Gelehrter, der mehrere Musikinstrumente spielte und in einem Waldhaus hinter der Hafengasse wohnte.
    Dort kümmerte er sich um ein Museum, in dem die Kristianer Gegenstände aus der Vergangenheit aufbewahrten. Auch an diesem Tag hatten die Wühler beim Graben einen Fund gemacht: einen auf unzerstörbaren Kunststoff gedruckten Plan einer Stadt namens Cologne.
    Im Moment machte auch Nikodeemus Mittagspause.
    Er saß am Kopfende der Tafel und musterte den flink löffelnden Gast so interessiert, dass Roney den Schluss zog, dass seine Tischmanieren ihn verdächtig machten.
    »Welcher Profession gehst du nach, Bruder Harry?«, fragte Nikodeemus neugierig, nachdem Kaplan Willie mit den Wühlern hinausgegangen war.
    »Jäger und Fallensteller.« Roney, mit dem Essen fertig, lehnte sich zurück. Er wollte seinen Tobakkbeutel zücken, doch den hatte er in seinem Quartier vergessen.
    Mist.
    Nikodeemus interpretierte Roneys Nervosität offenbar richtig. Er griff in eine Falte seines Gewandes und hielt ihm eine Zygar hin. Roney klemmte sie dankbar zwischen die Zähne und zündete sie an der auf dem Tisch stehenden Kerze an.
    Bisher hatte Kraut dieser Art ihm immer geschmeckt, doch heute kratzte es in seiner Kehle, sodass er husten musste. Das Zittern seiner Hände wurde schlimmer, sodass er sich fragte, ob er es wagen konnte, in eine Schänke zu gehen und sich einen hinter die Binde zu kippen.
    »Ich glaube, hinter dir liegen harte Zeiten, Bruder Harry«, sagte Nikodeemus. »Wenn du willst, kannst du dich ein wenig hinlegen. Im Wühlerquartier sind zwei oder drei Kojen frei. Wir brauchen übrigens noch Leute, die mit der Picke und der Schaufel umgehen können… Vielleicht hast du ja Lust, uns später bei der Arbeit zu helfen…?«
    Roney brummte etwas, von dem er selbst nicht wusste, was es bedeuten sollte. Doch als der Gelehrte ihn fragte, ob er ihm den Weg zum Wühlerquartier zeigen solle, sagte er nicht nein.
    Das Zelt stand gleich nebenan und enthielt Feldbetten für mindestens zwanzig Männer. Neben jeder Schlafgelegenheit stand eine Truhe mit Metallbeschlägen für persönlichen Besitz. Der Quartiermeister, ein Bruder Chaalie, hieß Roney herzlich willkommen, zeigte ihm seinen Schlafplatz, händigte ihm den Schlüssel für eine Truhe aus und hielt ihm ein Buch unter die Nase.
    »Was ist das?«, fragte Roney verlegen.
    »Das Quittungsbuch«, sagte Bruder Chaalie. »Du musst für den Schlüssel unterschreiben. Damit wir beweisen können, dass du einen erhalten hast, wenn du ihn verbummelst.«
    Roney errötete. »Ich kann nicht schreiben.«
    Bruder Chaalie schaute Magister Nikodeemus an.
    »Dann soll er halt ein Männchen malen«, sagte der Gelehrte lapidar.
    Roney malte eine Maus ins Buch, Bruder Chaalie klopfte ihm auf die Schulter.
    Dann verstaute Roney den Rucksack mit der Beute und ließ sich aufs Feldbett sinken. Ihm taten alle Knochen weh, und allmählich machte sich große Verzweiflung in ihm breit.
    »Wir sehen uns später.«

Weitere Kostenlose Bücher