1840 - Schattenreich Atlantis
sie ihre Schwingen ausgebreitet hatten. Er hörte nicht nur das Rauschen, sondern auch die Stimmen der Zuschauer, die so hoch und schrill klangen. Sie hörten sich an, als wollten sie jemanden anfeuern und das konnten nur die beiden Vögel sein.
Raffi dachte noch immer an Flucht. Er warf einen letzten Blick in die Höhe, weil er sich die Position der Tiere merken wollte.
Dazu kam es nicht mehr.
Beide Vögel waren schnell, und beide hatten sich ihn als Ziel ausgesucht.
Plötzlich huschten sie heran. Raffi wollte noch den Kopf einziehen. Er riss dabei auch seine Arme hoch, was sein Glück war, denn so trafen die Stöße und Schnabelhiebe nur die Arme und nicht den Kopf. Er lief weiter. Er hätte dabei besser geschaut, wo er hinlief. Das tat er nicht und sah auch nicht die Gestalt, die sich ihm näherte. Sie prallte gegen ihn, und er hörte deren entzückten Schrei. Einen Moment später landete er am Boden, fiel auf den Bauch. Dann explodierte etwas an seinem Kopf und löschte sein Bewusstsein aus …
***
Irgendwann kam Raffi wieder zu sich. Um sich herum sah er zunächst nichts, nur eine tiefe Schwärze, die Wellen zu werfen schien. Ihm war übel, er spürte im Kopf ein hartes Stechen. In seinem Mund schien sich schlecht schmeckende Watte zu befinden. Er stöhnte leise und traute sich nicht, sich zu bewegen. Angeschlagen blieb er liegen.
Und er versuchte, sich zu erinnern. Nur allmählich kamen die Erinnerungen wieder hoch, und noch ohne genaue Einzelheiten zu kennen, wusste er, dass er sich zu viel vorgenommen hatte.
Die andere Seite war besser gewesen.
Der nächste Schock erfasste ihn Sekunden später. Da merkte er, dass man ihn an Händen und Füßen gefesselt hatte. Er konnte sich nicht mehr bewegen.
Er konzentrierte sich jetzt auf sein Gehör. Völlig still war es um ihn herum nicht. Er hörte Geräusche, die sehr unterschiedlich klangen, und es dauerte eine Weile, bis er herausgefunden hatte, dass es sich dabei um Stimmen handelte. Nur wusste er nicht, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Raffi musste es hinnehmen, wie es kam.
Und dann schrak er zusammen. Plötzlich drang eine Stimme an seine Ohren. Es war die Stimme einer Frau. Sie klang sogar recht fröhlich, und er hörte auch ein Lachen.
Das alles war nicht mehr wichtig. Ihm ging es darum, wem diese Stimme gehörte. Er kannte die Person. Er kannte sie sogar sehr gut, denn ihretwegen war er hergekommen. Und er hatte sich auch nicht getäuscht, obwohl er sich wünschte, sich getäuscht zu haben.
Lavinia!
Aber er konnte es nicht glauben. Gut, Lavinia war hier, das sah er ein, sie war ja auch entführt worden, aber sie präsentierte sich in einer Laune, die nicht schicklich war.
Warum tat sie das?
Er begriff es nicht. Und wieder hörte er ihre Stimme, wobei sie noch lachte. Jetzt waren bei ihm alle Dämme gebrochen. Man hatte ihm die Augen geöffnet. Er stieß einen Fluch aus, und er wusste auch, dass er all die Mühen grundlos auf sich genommen hatte.
Es war vorbei …
Lavinia sah er nicht, doch er sah etwas anderes, wenn er sich nach links drehte. Da loderte ein Feuer. Die Flammen stiegen aus einem Becken in die Höhe und gaben einen Widerschein ab, der auch über den wieder leeren Thron hinweg strich.
Manchmal, wenn der Wind die Flamme in seine Richtung drückte, spürte er den warmen Hauch über sein Gesicht streifen. Dann sah er auch die Umrisse der Menschen, die sich am Rande des Flammenscheins bewegten, sich unterhielten und so taten, als wäre er gar nicht vorhanden.
Er sah die Menschen, das war schon klar. Aber er sah leider nicht die Person, auf die es ihm ankam. Seine Lavinia zeigte sich nicht. Sie hielt sich zurück, und er hörte jetzt auch ihre Stimme nicht mehr. Sie war versiegt, und vielleicht hielt man sie auch mit Gewalt zurück.
Es war alles möglich in dieser Welt, die nicht die seine war. In diesem Schattenreich gedieh das Böse. Hier konnten sich die Menschen und Dämonen verstecken, die Übles im Sinn hatten.
Und das passierte auch. Hier war die Luft vom Bösen durchdrungen, hier stieß die Finsternis immer wieder ihren Atem aus und gebar Menschen, die oft nur so aussahen, in Wirklichkeit aber keine waren, denn sie gehörten zu den Mutanten.
Eine bessere Heimat als das Schattenreich in Atlantis hätten sie nicht finden können, und jetzt musste er zugeben, dass auch Lavinia zu ihnen gehörte.
Sie hatten sie umgedreht. Sie wollten ihr einen Teil des Menschseins nehmen und zu einer Mutantin machen.
Wieder
Weitere Kostenlose Bücher