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185 - Ein Albtraum erwacht

185 - Ein Albtraum erwacht

Titel: 185 - Ein Albtraum erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael M. Thurner
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neue Deutungen.
    »Ich bin so müde«, keuchte sie, als sich ein Anangu mit forschenden Blicken über sie beugte. »Es wäre schön, hier zu sterben.«
    Er sagte nichts, schob lediglich seine zerschnittene Hand unter ihren Nacken und stützte sie.
    Aruula wollte nicht. Ihre Beine fühlten sich taub an.
    Pochender Schmerz zog sich über ihr verletztes Schienbein.
    Aus etlichen kleinen Wunden rann Blut, ihr Kopf schmerzte von der Anstrengung, und die Hände zitterten.
    »Goodo!«, flüsterte der Mann, und es hörte sich wie ein Lob an.
    »Ist schon gut«, gab Aruula zur Antwort. »Ich brauche noch ein wenig Zeit, aber ich bin in Ordnung.«
    Er schien zu verstehen, verpasste ihr einen aufmunternden Knuff gegen die Schulter und kehrte zu seinen Landsleuten zurück.
    Die Barbarin folgte ihm mit Blicken. Die fünf überlebenden Anangu hockten beisammen, sprachen Dankesgebete in ihrer gutturalen Muttersprache und beratschlagten anschließend, was nun geschehen sollte.
    Hatte sie die Achtung der Gruppe errungen? Würde man ihr nun jene Bedeutung zugestehen, die sie sich erkämpft hatte?
    Langsam stand Aruula auf und näherte sich den Anangu.
    Die Männer sahen sie interessiert an, wandten sich schließlich von ihr ab und marschierten kreuz und quer über das Schlachtfeld. Da und dort zuckte noch eines der Gangooroo. Kurz stießen sie zu und beendeten das Leiden der Tiere. Mit rituell anmutenden Bewegungen schnitten sie ihnen Köpfe und Vorderbeine vom Rumpf. Die Teile landeten in einem Stoffbeutel, der sich rasch blutrot färbte. Wollten sie sie als Proviant oder als Trophäen mit sich nehmen?
    Zwei Anangu wurden zwischen Kadavern der Gangooroo geborgen; vom dritten Opfer der tierischen Kampfeswut waren lediglich Reste übrig geblieben, bei denen es sich nicht lohnte, sie zu verscharren.
    Gesänge hoben an, als ein Lagerfeuer entfacht wurde. Die Anangu fütterten die Glut mit trockenem Reisig – und mit dem haarigen Fleisch der Tiere. Immer wieder zischte und brutzelte es. Fett spritzte in alle Richtungen, Die Anangu wärmten sich in gehöriger Entfernung, während die Nachtkälte immer weiter zunahm.
    Aruula gesellte sich zu den seltsamen Männern, suchte den Augenkontakt.
    Niemand reagierte auf sie. Alle schienen sie in tranceartigen Zuständen zu stecken – oder ihre Nähe zu ignorieren. Sie sangen und plapperten scheinbar Sinnloses vor sich hin, tranken weißliche Schaumflüssigkeit aus kleineren Behältern, wogten mit den Körpern hin und her, um schließlich abrupt zu enden.
    Der Barbarin reichten sie schales Wasser, in dem sich kleine flohartige Tierchen ein Bad genehmigten. Zähes Schlangenfleisch rundete das Abendmahl ab.
    Schließlich wies ihr der kleinste Anangu ein Nachtlager weitab vom Lagerfeuer zu. Er reichte ihr zwei dünne Felldecken und schmierte stinkende Salbe aus einem hölzernen Tiegel über ihre Wunden. Geduldig ließ sie ihn gewähren. Es gab keinen Grund, dem Mann zu misstrauen. Wenn er ihr Schlechtes wollte, hätte er weitaus günstigere Gelegenheiten nützen können. Die Creme begann zu dampfen, sobald sie mit ihrer Haut in Berührung kam. Sie ätzte die obersten Schichten weg und legte sich wie ein Film über tiefer liegende Wunden.
    Der Anangu nickte ihr nach getaner Arbeit zu, zog einen Kreis um ihre Liegestatt und murmelte seltsame Beschwörungen. Dann stapfte er, ohne sich weiter um Aruula zu kümmern, zurück zu seinen Freunden.
    »Warte«, rief sie ihm hinterher, »wir sollten uns unterhalten! Wie heißt du?«
    Keine Reaktion. Der Anangu saß bereits wieder am Lagerfeuer, aß einen weiteren Happen und erzählte einen Schwank aus seinem Leben. Er und die anderen benahmen sich plötzlich, als existierte sie gar nicht.
    Etwa so, als wäre sie Bestandteil der Traumwelt…?
    Irritiert schob Aruula den Gedanken beiseite. Spekulationen halfen ihr nicht weiter. Sie musste sich darüber klar werden, was sie hier eigentlich suchte – und warum sie den Anangu so bereitwillig folgte. Hatten die Männer eine Art Zauber über sie gelegt?
    Sie zog die Knie an und konzentrierte sich auf die Gedanken ihrer Begleiter.
    Nichts. Sie drang nicht zu ihnen durch. Ihr war, als umgäbe sie Leere. Greifbare, schwere Leere, die sie durchdrang, zu Boden zwang…
    Erneut fühlte sie sich unendlich müde. Dabei wollte sie die Gelegenheit nutzen; bald, wenn sich die Anangu in den Schlaf gesungen hatten, würde ihre Chance zur Flucht kommen.
    Der Sand unter ihr hatte eine gewisse Restwärme, während der leichte Wind

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