1850 - Vollmond-Grauen
Flügel einholte und plötzlich vor uns stand.
Obwohl er nicht weit entfernt stand, war sein Gesicht nicht genau zu sehen, es war einfach zu dunkel. Aber wir erkannten, dass er einen nicht mal so kleinen Körper hatte, obwohl er so gedrungen wirkte.
»Er will mich«, sagte Dagmar. »Deshalb ist er hier.«
»Weißt du das genau?«, fragte Harry Stahl.
»Ja, ich habe Kontakt mit ihm. Wahrscheinlich über das Auge. Er ist davon fasziniert.«
»Dann soll er dich holen«, sagte ich.
»Bitte?«
»Ja, Dagmar. Sag ihm, dass er dich holen soll. Alles andere überlässt du mir.«
»Gut, wie du meinst.«
Ich hatte mich schon vorbereitet. Meine Lampe hielt ich in der linken Hand, die Beretta in der rechten, und dann war es so weit.
Das Geschöpf kam vor. Es verkürzte die Distanz zu Dagmar. Noch einen Schritt wollte ich ihn nicht gehen lassen, denn jetzt war meine Zeit gekommen.
Ich machte einen langen Schritt nach vorn und schaltete zugleich meine Leuchte ein.
Es war der Drachensegler, und der Lampenstrahl fuhr geradewegs in das Gesicht.
Nein, das war kein Gesicht. Das war eine Fratze. Ich sah die schuppige Haut, die bösen Augen, einen kahlen Kopf, ein breites Maul und unter dem dicken Hals einen kompakten nackten Körper. Arme gab es ebenfalls und auch Hände, die Pranken glichen. Wenn er damit zuschlug, konnte es gefährlich werden.
So weit ließ ich es nicht kommen.
Er riss die Arme zwar hoch, aber da war ich schneller, denn ich hielt die Beretta schussbreit in der Hand.
Mein Ziel war sein Gesicht.
Und das konnte ich nicht verfehlen.
Die Pranke hätte mich fast noch berührt, aber sie war nicht schneller als eine Kugel. Und die jagte ich aus kurzer Entfernung in die Fratze.
Wenn sie nicht half, dann half gar nichts mehr …
***
Dass Echo des Schusses dröhnte noch in meinen Ohren, als ich sah, was geschah.
Die Kugel aus geweihtem Silber hatte das Gesicht in der Mitte getroffen und riss es auseinander. Als hätte ich in eine Melone geschlagen, so platzte es vor meinen Augen auseinander.
Ich zuckte zusammen und duckte mich, weil ich nicht von dem Zeug getroffen werden wollte. Es bestand aus Knochenstücken und irgendeiner widerlichen Masse, die ich nicht im Gesicht haben wollte.
Ein zweiter Schuss fiel. Er war verbunden mit einem Schrei der Wut, und den hatte Harry Stahl ausgestoßen. Seine Kugel hatte die Gestalt im Fallen erwischt. Sie war in den Hals eingedrungen und hatte auch hier etwas zerfetzt.
Der Drachensegler war auf den Rücken gefallen. Wir mussten noch einen Schritt gehen, um ihn zu erreichen. Neben ihm blieben wir stehen und schauten auf ihn nieder. Auch Dagmar Hansen kam, um sich die Gestalt anzuschauen, die sich nicht mehr bewegte.
»Ist er vernichtet?«, fragte sie.
Ich schaute sie kurz an. Das dritte Auge auf ihrer Stirn war so gut wie verschwunden. Man musste schon genau hinschauen, um es noch erkennen zu kennen. Aber wir wollten uns nicht zu früh freuen, es gab schließlich noch mehr von diesen Drachenseglern. Wir hatten sie gesehen, aber als wir jetzt hinschauten, waren sie verschwunden.
»Die lassen sich nicht wieder blicken«, sagte Dagmar. »Die werden mit dem zufrieden sein müssen, was sie haben und wo sie sind. Es ist aus und vorbei.«
Das sahen wir auch so.
»Und wie fühlst du dich?«, fragte Harry seine Partnerin, »ich meine, dein drittes Auge hat sich mal wieder gezeigt. Es steht zu befürchten, dass es wieder …«
»Nein, nein. Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Vielleicht spüre ich es hin und wieder, aber die große Zeit der Psychonauten ist endgültig vorbei. Das hoffe ich zumindest …«
***
ENDE
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