1852 - Die Galornin
öffentlichen Zweikampf heraus, bei dem es um Intelligenz, Zähigkeit und Hinterhältigkeit ging. Als Austragungsort wählte sie auch jetzt wieder jene Wiese aus, auf der Dauw gestorben war, und sorgte durch gezielte Informationen dafür, daß Zeugen aus allen Teilen der Stadt der Kinder zugegen waren.
Schüler wie Erzieher kamen an jenem Tag, die Schüler in gebannter Erwartung eines harten Kampfes, die Erzieher widerwillig, aber dennoch in großer Zahl. Seit Kaif mit dem Fremden gesehen worden war, konnte sie sie noch besser manipulieren als vorher.
Sie hatte ein gutes Dutzend an Aufgaben vorbereitet; die es zu meistern gab. Die gleiche Anzahl hatte sie Lopt zugestanden. Sie lösten sie alle. Vor dem letzten Kampf stand es zwischen ihnen unentschieden.
Der letzte Kampf, darauf hatten sie sich auch geeinigt, fand in einem Gravobassin statt, wie Kaif es als Kleinkind bei ihren Eltern gehabt hatte. Jeder Sprung in ein anderes Gravofeld löschte das hinter dem Rivalen liegende aus, und der Kampf war dann zu Ende, wenn der eine Gegner das einzige als solches verborgene Austrittsfeld gefunden und das Bassin verlassen hatte und der andere gefangen war - denn aus den letzten Feldern gab es keinen Weg mehr nach draußen. Der Sieger mußte sie abschalten, um den Unterlegenen aus seinem energetischen Gefängnis zu befreien.
Kaif siegte geradezu spielend. Lopt Zadheven war in einer Anordnung von sechs Gravofeldern mit extrem gegeneinander wirkender Schwerkraft gefangen und wurde von einem ins andere gerissen, so wie sie damals im Garten ihrer Eltern, als das System außer Kontrolle geraten war.
Die junge Galornin’ genoß es, die Felder eins nach dem anderen auszuschalten. Am Ende purzelte der völlig erschöpfte Feind zu Boden und blieb eine Weile lang atemlos liegen.
Er hatte die größere Anhängerschaft mitgebracht - im Grunde waren alle Schüler auf seiner Seite gewesen. Er war als derjenige angetreten, dem sie alle den Sieg gewünscht hatten - und sie, Kaif, hatte ihn regelrecht vorgeführt.
Dem Ganzen setzte sie die Krone auf, als sie zu ihm ging, sich über ihn beugte und ihn in aller Öffentlichkeit spöttisch liebkoste. Er konnte sich nicht dagegen wehren. Erst als er wieder aufzustehen vermochte, lief er wie von Grauen geschüttelt davon, und das Hohngelächter seiner ehemaligen Freunde und Anhänger verfolgte ihn.
Lopt Zadheven war von diesem Tag an erledigt. Aber Kaif Chiriatha erntete heimliche bewundernde Blicke, wohin sie in der Stadt der Kinder auch ging.
Sie erwiderte diese Gefühle nicht. Sie war und blieb allein, auf sich selbst gestellt und niemandem verantwortlich. Sie ließ niemand an sich heran, verprellte alle, die sich ihr jetzt wieder zu nähern versuchten.
Noch zweimal suchte der große Fremde sie auf. Er schien zufrieden damit zu sein, wie sie sich entwickelte, obwohl sie ihren Haß weiter pflegte und ihren Zukunftsträumen weiter nachhing.
Ihre Angst vor ihm schwand langsam dahin.
Je öfter man sie mit ihm sah, desto beklommener wurden die Erzieher ihr gegenüber. Der Fremde, begriff Kaif nicht erst da, mußte etwas ganz Besonderes sein. Sie glaubte nicht mehr daran, daß er zu den Erziehern gehörte.
Manchmal nachts, wenn sie wieder schlecht schlafen konnte, erschien ihr Dauw wieder im Traum und sagte mit großen Augen: „Er hat dich auserwählt, Kaif. Er glaubt an dich. Enttäusche ihn nicht."
Der Drache Die Jahre vergingen, und es wurde immer unerträglicher. Die Zeit schien stillzustehen. Kaif Chiriatha, jetzt auch noch ohne Feind, dem sie ihre Aggressionen entgegenschleudern konnte, von dessen Tod sie träumen konnte, wurde vierzig Jahre alt, dann fünfundvierzig. Von Lopt Zadheven hörte sie nie mehr etwas.
Mit zunehmendem Alter fühlte sie sich immer stärker zum Zentrum des Kinderstadt hingezogen, zum Drachen. Waren es früher eher Neugier und Faszination gewesen, die sie bierhergetrieben hatten, so war es nun eine kaum noch zu zügelnde Sehnsucht, das von Tag zu Tag wachsende Verlangen nach dem Spiel mit dem Drachen, dem Kampf, der ihr tumbes Dasein in dieser Kinderstadt endlich beenden würde.
Sie fühlte, daß sie in der Stadt längst nichts mehr verloren hatte. Doch immer wenn sie zur Ringmauer ging, zur energetischen Pforte, wartete sie vergeblich darauf, daß diese sich öffnete.
Auch der Fremde, dessen Namen sie noch immer nicht kannte, zeigte sich ihr nicht mehr.
Ihr Haß auf das herrschende System auf Helter Baaken war ungebrochen. Er wuchs sogar noch, je mehr
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