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1869 - Gesang der Kleinen Mütter

Titel: 1869 - Gesang der Kleinen Mütter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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niedergelegt.
    Die Paralysewirkung mußte jeden Moment aussetzen, sie hatte sich genau im zeitlich kalkulierten Rahmen gehalten.
    Von ihrer Kanzel aus beobachtete Bré, wie Jafko langsam erwachte. Wie am Vorabend hustete und nieste er und schüttelte belemmert den bulligen Schädel. Blinzelnd öffnete er die Augen und gähnte herzhaft.
    Dann verharrte er überrascht.
    Er hatte eine Fülle unerwarteter, dennoch wohlvertrauter Gerüche und Geräusche wahrgenommen.
    Verdutzt schaute er in die Umgegend und erkannte heimatlichen Boden. Tauglänzende Blätter mächtiger Urwaldriesen, feuchtdampfendes Gras. Unzählige Käfer, Spinnen, Würmer, Ameisen und bizarre Insektenartige, wuselten geschäftig am Boden entlang, bei zufälligem Aufeinandertreffen manchmal sogar übereinander. Manchmal aber auch direkt in die Fangarme’ oder Greifzangen von Räubern hinein.
    In den Bäumen wimmelte es von Vögeln und säugetierartigen Baumbewohnern. Nur die großen Fluchttiere und ihre geduldigen Verfolger, Reptilien und andere zeigten sich nicht so deutlich. Huschende Geräusche, ein zufälliges Knacksen zeigten an, daß sie da waren; hin und wieder war auch ein großes lauschendes Ohr oder ein schimmerndes Geweih zu erkennen.
    Jafko ließ dies alles eine Weile auf sich einwirken. Er mußte sich erst umstellen und begreifen, daß sein Leben in einen neuen Abschnitt getreten war. Er lag ruhig da und witterte, seine Ohren bewegten sich wie Radarantennen, mit dick aufgeplusterten gelben Ohrbüscheln.
    Dann setzte er sich langsam auf. Seine Bewegungen waren noch ziemlich unkoordiniert und ein wenig wacklig, aber er gewann zusehends seine Stärke zurück. Ausgiebig begann er sich zu putzen und zu säubern. Er schüttelte sich und stand auf.
    Bré spürte seinen Blick. Seine goldgesprenkelten Augen waren direkt auf sie gerichtet. Treuherzig, liebevoll und verstehend. Sie winkte mit halb erhobener Hand.
    „Nun mach schon!" flüsterte sie. „Geh dorthin, wo du hingehörst! Und geh allen Wilddieben aus dem Weg, hörst du? Fang dir einen leckeren Happen und laß es dir schmecken! Manchmal wirst du ein wenig Hunger leiden, aber du wirst schon lernen, dich durchzusetzen. Du wirst ein hübsches Weibchen finden und viele Kinder bekommen. Und jetzt geh, Dummkopf! Hier hast du nichts mehr verloren. Leb wohl!"
    Jafko maunzte. Dann drehte er sich um und trottete langsam in den Wald hinein. Sein schwarzes Fell mit den gelben Tigerstreifen verschmolz schnell mit den sonnengesprenkelten Schatten, und er war fort.
     
    *
     
    Bré wartete eine gute Stunde, aber der Husslar kehrte nicht zurück. Erst dann verließ sie die Jet und machte sich zu Fuß auf den Weg zur Station.
    Es waren ja nur vier Kilometer, das schaffte sie leicht. In schnellem Trab, wenn es sein mußte.
    Aber sie wußte, daß sie keine Angst zu haben brauchte. Als Empathin empfing sie die Eindrücke des Dschungels sehr viel intensiver als ein „normaler" und nicht hier geborener Mensch. Sie wußte genau, wann sich ein Tier heimlich anschlich, das sie als Beute betrachtete. Sie wußte auch, wohin sie ihren Fuß setzen mußte, um nicht auf eine Schlange oder ein anderes gefährliches Wesen zu treten, das einen unbeabsichtigten Tritt extrem übelnahm.
    Solche Dinge verlernte man nie, wenn man den Großteil des Lebens im Dschungel verbracht hatte.
    Ariane und Hektor hatten ihre Tochter die Wildnis erkunden lassen; Unfälle konnten sie sowieso nicht verhindern, da sie sie nicht rund um die Uhr im Auge behalten konnten. So hatte Bré sehr schnell gelernt, sich in dem grünen Labyrinth zurechtzufinden, und dank ihrer angeborenen besonderen Gabe war ihr niemals etwas zugestoßen.
    Sie hatte gar nicht mehr gewußt, wie sehr sie dieses Leben geliebt hatte. Ihr Ehrgeiz hatte sie davongetrieben, und sie fand sich mittlerweile an Bord der sterilen, nüchtern eingerichteten Raumschiffe zurecht. Aber nun war es gut, hier zu sein und mit Genuß die Sinne explodieren zu lassen.
    Bré vertrödelte dabei mehr Zeit, als sie vorgehabt hatte. Der Tag war ohnehin sonnig und brütend heiß, und so war es nur richtig, hin und wieder an Wasserlöchern oder Tümpeln anzuhalten, sich ein wenig Erfrischung ins Gesicht zu spritzen und den wimmelnden Laich von Fröschen und anderen Amphibien, dazu Wasserläufer und Käfer zu beobachten.
    Glücklicherweise hatte sie in ihrem Gepäck stets eine auf Sabinn entwickelte, perfekt haftende und absolut wasserdichte Anti-Mücken-Salbe dabei, mit der sie sich vor Verlassen der

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